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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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treffen, Mutter.«
    »Doch, Albert. Ich freue mich, aber zugleich hab ich Angst, dass du etwas Dummes angestellt hast.«
    »Unsinn, Mutter. Was ist heute schon pünktlich bei der Reichsbahn? Ich habe mich in Oberhausen nicht lange aufgehalten und bin gleich Richtung Süden zurückgefahren. Bei der Fahrt ging alles wie für mich geplant, es gab kaum eine Verspätung, keine Wartezeiten beim Umsteigen in München und Wien. Jeder weiß, wie selten das heute ist. Was meinst du, wird der Lagerführer in Brünn auf die Idee kommen, dass ich einen kurzen Abstecher zu einem Familientreffen in die Ostmark gemacht habe?«
    »Du bist mir vielleicht einer«, sagte die Mutter. Immer noch schien sie zu befürchten, dass Alberts Ausreißversuch ein böses Ende haben könnte.
    »Und wann willst du zurück?«, fragte Ruth. Sie hatte ihren Bruder schon zwei Jahre nicht mehr gesehen und staunte, dass aus dem schmächtigen Jungen so ein Kerl geworden war.
    »Ich dachte, ich fahr mit Mutter im Sonderzug bis Wien und dann allein weiter.«
    »Müssen wir eigentlich hier in der kalten Halle stehen bleiben?«, fragte Irmgard. »Wir haben gleich nebenan ein Besucherzimmer.«
    Sie ging zu einer Tür und rüttelte daran. »Verschlossen«, sagte sie. »Aber das ist kein Problem. Im Kabuff hängt der Schlüssel.«
    Eine der Ukrainerinnen hatte Pfortenwache, aber bei den vielen Leuten, die in diesen Tagen ein und aus gingen, hatte sie die Kontrolle längst aufgegeben. Irmgard nahm den Schlüssel vom Haken und schloss auf. Die Zarskis setzten sich in die bequemen Besuchersessel.
    »Hast du Hunger?«, fragte die Mutter.
    »Immer«, antwortete Albert.
    Irmgard stand auf. »Dagegen kann man was tun. Ich geh mal in die Küche.«
    Kurz darauf kam sie mit drei dick mit Butter und Leberwurst bestrichenen Scheiben Brot und einer Tasse Milch zurück.
    »Hmm«, sagte Albert. »Lebt ihr hier immer so gut?«
    »Nur wenn ein hübscher junger Mann zu Besuch kommt. Dann wird Frau Zitzelshauser weich und rückt raus, was die Küche an Schätzen zu bieten hat.«
    Überrascht schaute Albert seine Schwester an. »Früher hast du nicht so viel Süßholz geraspelt«, sagte er.
    Sie fragten ihn aus. »Wie geht es dir in Brünn? Bekommst du genug zu essen? Was bedeutet die grüne Schnur an deiner Uniform? Sind deine alten Lehrer aus der Realschule noch dabei?« Eifrig wurde Albert nur, als er seine Führerschnur berührte und sagte: »Vor drei Monaten bin ich Jungzugführer geworden. Meine Beförderung war eine schöne Feier. Sogar die Lehrer haben mir gratuliert.«
    »Das wird auf Anna großen Eindruck machen«, sagte Irmgard.
    »Wer ist Anna?«, wollte Albert wissen.
    »Das ist eine aus unserer Klasse. Die Älteste von der Gärtnerei Mohrmann.«
    »Und was kümmert sich diese Anna um mich?«
    »Ich glaube, sie ist, na, sagen wir, sie ist an dir interessiert.«
    »Quatsch. Die kennt mich doch gar nicht.«
    »Ich habe von meinem schönen Bruder Albert erzählt. Schade, dass ich kein Foto von dir habe. Dann hätte ich es ihr gezeigt und sie wäre Feuer und Flamme gewesen.«
    »Die Anna doch nicht«, widersprach Ruth. »Sie ist meine beste Freundin hier in Maria Quell.«
    »Was weißt du Küken schon von der Liebe«, hänselte Irmgard ihre Schwester.
    »Du kannst mir deine Anna ja nachher mal vorstellen, Irmgard. Wer weiß …«
    »Hört auf mit dem Unsinn«, sagte Frau Zarski.
    »Genau«, betonte Albert. »Ich muss sowieso noch etwas ganz Tolles erzählen.«
    Irmgard und Ruth tuschelten miteinander und gingen hinaus.
    »Mal sehen, ob Frau Zitzelshauser für Albert auch ein Reisebrot fertig macht«, sagte Ruth.
    »Ist gut, dass wir allein sind, Mutter. Die Mädchen hätten sonst nur alles weitergetratscht. Also, das war vor drei Wochen. Am Abend hat der Lagerführer alle, die in diesem Jahr mindestens fünfzehn Jahre alt werden, zusammengetrommelt. Zu unseren Lagergebäuden gehört ein großer Tagesraum. Es war schon dunkel, als wir dorthin strömten. Die Hocker waren im Halbkreis aufgestellt, vier Reihen hintereinander. In der Mitte stand ein Stuhl neben einem kleinen Tisch. Auf dem Tisch waren ein großes Hitlerbild und eine Kerze aufgestellt. Als wir uns alle gesetzt hatten, zündete der Lagerführer die Kerze an. Das elektrische Licht wurde ausgeschaltet. Er sagte, wir hätten Besuch bekommen. Der Bannführer wäre gekommen. Er hätte aber wenig Zeit. In spätestens neunzig Minuten müsste er weiterfahren. Wir sollten zu seiner Begrüßung aufstehen.
    Wir waren

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