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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Lötsche ihr Versetzungsgesuch ab. Der Direktor hatte vergeblich auf sie eingeredet, diesen Schritt nicht zu tun. Auch er habe gegen den Abzug von Frau Malik scharf protestiert. Und vielleicht werde ja doch noch alles gut.
    Die »übergeordneten Gesichtspunkte« wurden telefonisch aus Wien bestätigt und Frau Lötsche bekam eine Rüge. Harsch fuhr Ballnigel sie an, er finde es unverschämt, ihn unter Druck setzen zu wollen. Ein Tadel in ihrer Personalakte sei die Folge. Selbstverständlich habe sie dort ihren Dienst zu verrichten, wo sie hingeschickt werde. Die Männer an der Front könnten sich ja schließlich auch nicht aussuchen, wo und wie sie eingesetzt würden. Er schloss das Telefonat mit dem Satz: »Sie haben das hoffentlich verstanden. Befehl ist Befehl. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren.«
    Frau Lötsche hatte einen roten Kopf bekommen und hauchte ins Telefon: »Jawohl, Parteigenosse.« Aber Ballnigel hatte den Hörer schon aufgelegt.
    Die Neue hieß Heidrun Czech. Sie war, wie die Mädchen bald sagten, ein »scharfer Besen«. Schon am zweiten Morgen inspizierte sie die Stuben. Sie tadelte tatsächliche und vermeintliche Nachlässigkeiten in den Spinden, beim Bettenbauen und bei der Sauberkeit der Stuben. Mit den Fingern fuhr sie über die Oberkante der Türrahmen, schaute dann lange starr auf die Staubspuren auf ihren Fingerkuppen, sagte wenig dazu, aber ordnete mit ruhiger Stimme Strafen an. Einige Mädchen sollten drei Tage lang während ihrer Freizeit in sauberer Schrift Formulare abschreiben. Angeblich waren die amtlichen Vordrucke ausgegangen. Andere mussten die Fliesen in der Halle schrubben oder die Messingklinken der Türen im Haus blank polieren. An einem Föhntag Anfang April, als die Temperaturen weit über null kletterten, ließ sie die Fensterbänke außen abwaschen. Nie erlahmte sie in der Erfindung ungeliebter Arbeiten.
    Einmal widersprach Irmgard Zarski, als ihre angeblich nicht auf Kante geordnete Wäsche aus dem Spind herausgerissen und aufs Bett geworfen wurde. Irmgard behauptete, alles sei vorschriftsmäßig von ihr eingeräumt worden. Die LMF müsse sich geirrt haben.
    »Was sagen die anderen Mädchen der Stube dazu?«, fragte Heidrun Czech.
    Alle schwiegen. Dann sagte die Stubenälteste Anna Mohrmann: »Wir haben in Irmgards Spind keine Unordnung festgestellt.«
    »Das sagst du als Stubenälteste, Anna? Nicht festgestellt? Du musst dich schon entscheiden, ordentlich oder nicht?«
    »Mir ist keine Unordnung aufgefallen«, beharrte Anna.
    »Und ihr anderen?«
    »Meine Schwester Irmgard ist …« Ruth stockte. »Ich meine, sie ist immer viel ordentlicher als ich. Sagt meine Mutter auch.«
    »Ich bin sicher, dass ich keinen Knick im Auge habe«, spottete Heidrun Czech. Dann faltete sie zur Verwunderung aller Irmgards Wäsche sorgfältig zusammen und ordnete sie vorschriftsmäßig wieder ein. Selbst mit einem Lot hätte man keine Abweichung von der senkrechten Kante feststellen können.
    Drei Tage später wurde allen Mädchen der Stube 215 befohlen, einen Besen zur Hand zu nehmen. Wenn nötig, solle man sich einen ausleihen. Eimer, Schrubber und Aufnehmer stünden im oberen Flur vor der Treppe bereit. Auf dem Speicher sehe es aus, als ob dort seit Monaten kein Mensch mehr einen Fuß hineingesetzt hätte. Hausputz im Frühjahr, das wäre nicht nur etwas für die Untergeschosse.
    »Zieht euch alte Sachen an«, sagte die LMF, »und bindet euch ein Kopftuch um. In zehn Minuten treffen wir uns vor dem Treppenaufgang.«
    Wieder verblüffte Heidrun Czech die Mädchen. Sie erschien nämlich in einem grauen Arbeitskittel. Ihre Haare waren unter einem kunstvoll gebundenen Turban verborgen. Offensichtlich hatte sie nicht die Absicht, tatenlos dabeizustehen, wenn die Mädchen an die Arbeit gingen. Der weitläufige Dachboden zog sich über das ganze Gebäude des Hotels. Es sah aus wie in einer Gespensterkammer. In langen Schlieren wehten Spinnenfäden sanft hin und her. Eine dicke Staubschicht bedeckte den Boden. Irgendwelche Gegenstände waren unter großen Tüchern verborgen und sahen aus wie graue Ungeheuer. Waren es große Kisten?
    »Lauter alte Klamotten«, vermutete Anna. »Mein Vater konnte auch nichts wegwerfen. Er meinte, man könne jeden Schrott vielleicht irgendwann noch mal gebrauchen.«
    Heidrun Czech sagte: »Schaut mal unter die Tücher. Aber bitte ganz vorsichtig, damit kein Staub aufgewirbelt wird.«
    Die Mädchen erkannten schnell, dass es sich keineswegs um Trödel handelte.

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