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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Pulverschnee war zum Skilaufen genau richtig. Aber die Tiefflieger! Die russischen Soldaten, die abgesetzt worden sein sollten!
    »Ich war die ganze letzte Woche nicht ein Mal draußen, Mutter. Ich verspreche dir, wir sind ganz vorsichtig. Wir nehmen die Piste am Wald entlang. Das ist zwar etwas weiter, aber wenn wir Tiefflieger hören, sind wir sofort zwischen den Bäumen verschwunden.«
    Frau Salm dachte daran, was sie ihrer Tochter alles verbieten musste, und stimmte schließlich zu.
    Als die Mädchen den Hügel erklommen hatten und der Tunnel schon in Sichtweite war, blieb Esther plötzlich stehen. »Hörst du es auch?«, fragte sie.
    Ruth lauschte angestrengt. »Keine Jagdflugzeuge«, sagte sie.
    »Nein, Ruth, ich meine das leise Donnern.«
    »Vielleicht zieht ein Wintergewitter auf.«
    »Gewitter? Am Himmel ist kein Wölkchen zu sehen und es ist windstill. Ich glaube, das sind Kanonen.«
    Jetzt hörte Ruth es auch. Es war ein leises, fernes Grummeln. »Das ist ganz, ganz weit weg«, sagte sie.
    »Viel zu nah«, erwiderte Esther. »Sag bitte meiner Mutter nichts davon. Sie macht sich sowieso schon viel zu viele Sorgen.«
    »Sieh mal, Esther, da unten am Tunnel. Die Männer sind fertig. Sie haben ihr Werkzeug bei sich. Der Tunnel ist bestimmt wieder frei.«
    »Kannst du Dr. Scholten erkennen?«
    »Warte. Ich sehe ihn noch nicht … doch, jetzt, der mit der Schaufel auf der Schulter. Das könnte er sein.«
    »Ja«, bestätigte Esther. »Der Schaufelstiel ist fast dicker als er selbst.«
    »Klasse«, sagte Ruth. »Lydia hat gewonnen. Du bekommst die Praline und ich kann endlich mal wieder dick bestrichene Marmeladenbrote essen.«
    Frau Salm hielt schon Ausschau nach den Mädchen und atmete erleichtert auf, als sie die beiden auf das Haus zufahren sah.
    Im Quellenhof sagte Lydia nur: »Ich wusste genau, dass das mit dem Stollen im Berg Unsinn ist.«
    »Mensch, Lydia«, sagte Anna, »du wirst dir den Magen verderben mit so vielen Portionen Marmelade. Können wir uns nicht darauf einigen, dass du von jeder am Tisch nur die Hälfte bekommst?«
    »Nichts da, Schwesterherz. Wettschulden sind Ehrenschulden. Das habt ihr doch aus dem Nibelungenlied im Deutschunterricht gelernt: Die Ehre geht über alles.«
    »Tja«, sagte Anna. »Du weißt ja, was aus den Nibelungen geworden ist. Sie sind alle umgekommen.«
    Schwester Nora ließ Anna rufen.
    »Komm herein«, rief die Schwester, als es kurz darauf klopfte. »Häng das Schild Eintritt zurzeit verboten außen vor die Tür.«
    Anna wunderte sich. Das Schild hing dort eigentlich nur, wenn die Schwester eine schwierige Behandlung durchführen musste. Als die Schwester dann auch noch Anna bat, die Tür abzuschließen, wurde Anna unruhig.
    Hatte sie etwa eine ansteckende Krankheit? Vielleicht Tuberkulose?
    »Setz dich«, forderte die Schwester das Mädchen auf. »Ich muss eine sehr wichtige Angelegenheit mit dir besprechen. Aber zuerst will ich dich fragen, traust du dir zu, alles, was ich dir jetzt sage, ganz und gar für dich zu behalten?«
    »Ja?« Es klang ein wenig unsicher.
    »Wirklich?«
    »Wenn Sie es wünschen, Schwester, dann sage ich zu niemand ein Wort. Ganz sicher.«
    »Das musst du mir in die Hand versprechen, Anna.«
    Die Schwester streckte ihre Hand aus. Anna zögerte, schlug dann aber ein.
    »Versprochen«, sagte sie.
    »Weißt du, meine Großmutter hat in einem Dorf in Ostpreußen gelebt. Mein Großvater war Viehhändler. Wenn er mit einem Bauern um den Preis eines Rindes feilschte und sie sich schließlich einig geworden waren, hielt er dem Bauern die Hand hin. Der schlug dann ein. Auch wenn ihm später Bedenken kamen und er den Eindruck hatte, er hätte ein paar Mark mehr für sein Tier bekommen können, ein Zurück gab es nicht mehr. Auch mein Großvater war fest an den Handschlag gebunden. Er hätte bei den Bauern nie wieder ein Stück Vieh kaufen können, wenn er sich nicht an den Handschlag gehalten hätte. Er wäre verachtet worden und hätte seinen Beruf aufgeben müssen.«
    »Wollen Sie mir ein Schwein verkaufen?«, flachste Anna.
    Die Schwester lachte verlegen. »Ach«, sagte sie, »ich muss in diesen Tagen so oft an meine Heimat denken. Im Januar ist ganz Ostpreußen von den Russen eingeschlossen worden. Die armen Leute dort, die nicht rechtzeitig fliehen konnten.« Sie seufzte auf. »Heute, Anna Mohrmann, geht es um ganz etwas anderes. Wie ich weiß, kannst du ein wenig Polnisch sprechen und verstehen.«
    »Aber wirklich nur ein wenig, Schwester. Wir

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