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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Zitzelshauser hat gesagt, sie konnte sich damals ganz gut verständlich machen. Aber nicht ein deutsches Wort kommt ihr über die Lippen. Deshalb, Anna, musst du uns helfen.«
    »Soll ich gleich mitgehen?«
    »Nein. Es dauert nicht mehr lange bis zum Abendessen. Auch will ich Lutka darauf vorbereiten, dass außer mir und der Hauswirtin noch jemand ins Zimmer kommt. Sie ist sehr schreckhaft. Ich hole dich später am Abend ab.«
    Sie drehte den Schlüssel im Schloss. »Jetzt weißt du auch, warum ich die Tür verschlossen habe.«
    »Ja, Schwester. Ich dachte schon, ich hätte eine schlimme Krankheit.«
    Es wurde spät und fast alle Mädchen der Stube 215 waren schon in ihren Betten, als Schwester Nora Anna herausrief.
    »Es geht heute noch nicht. Lutka hat große Angst und will niemand anderen sehen. Ich sage dir Bescheid, wenn es so weit ist.«
    Die Granatenabschüsse und dumpfen Explosionen waren inzwischen nicht mehr zu überhören. Sie ließen auch in der Nacht nicht nach. Mehrmals hatte Dr. Scholten versucht, mit der Gebietsleitung in Wien zu telefonieren, aber entweder hatte er gar keine Verbindung bekommen oder er war von der Telefonzentrale abgewiesen worden. Schließlich entschloss er sich, in der nächstgelegenen Stadt nach jemandem zu suchen, der ihm Anweisungen geben konnte, wann und wie die Rückführung der Mädchen vonstatten gehen sollte. Der Zugverkehr war seit Tagen eingestellt. Auf der Landstraße zogen die Flüchtlinge aus Ungarn mit ihren Fuhrwerken nach Westen. Die Karren wurden von Pferden oder von lang gehörnten Ochsen gezogen. Dr. Scholten wurde von einem Militärfahrzeug in die Stadt mitgenommen und vor dem Parteibüro abgesetzt.
    »Alles ist bestens organisiert«, sagte ihm ein kleiner, kurz geschorener Mann in einer Uniform, die viel zu groß für ihn war. Er übergab Dr. Scholten einen versiegelten Umschlag.
    »Sie finden darin die genauen Pläne für eine eventuell notwendige Rückführung ins Altreich, Herr Doktor. Wo dann die Busse für Sie bereitstehen, ist dort vermerkt. Eines nur vorweg«, sagte er und hob seinen Zeigefinger, »nur ganz kleines Gepäck, keine Pakete und Koffer oder so etwas, nur das Allernötigste. Den Umschlag übergeben Sie Direktor Aumann. Das Siegel darf aber erst geöffnet werden, wenn Sie von uns den Befehl dazu erhalten. Sobald das Losungswort Waldameise mitgeteilt wird, lesen Sie die Anweisungen. Verstanden?«
    »Zu Befehl«, antwortete Dr. Scholten und dachte: Das zumindest habe ich beim Volkssturm gelernt.
    »Wie kommen Sie zu Ihrem Lager zurück?«
    »Keine Ahnung. Zu Fuß dürfte es wohl zu weit sein. Immerhin sind es ungefähr fünfundzwanzig Kilometer.«
    »Moment.«
    Der Mann verließ mit kurzen, festen Schritten das Büro und kam mit einer mehrfach gestempelten Bescheinigung zurück.
    »Zeigen Sie dies dem Fahrdienstleiter im Hof. Sie werden zurückgebracht.«
    »Scheint wirklich alles gut organisiert zu sein«, sagte Dr. Scholten.
    »Haben Sie etwas anderes erwartet?«
    »Ehrlich gesagt, ja.«
    »Nun treten Sie endlich ab, Herr Doktor.«
    »Jawoll!« Dr. Scholten schlug die Hacken zusammen.
    Eine junge Frau fuhr den Kübelwagen. Sie nahm einen anderen Weg zurück zum Dorf.
    »Die Landstraße ist oft verstopft«, sagte sie. »Bald soll sie nur noch in Richtung Westen befahrbar sein. Ganz rechts der Flüchtlingstreck und auf der linken Straßenseite das Militär. Nicht einmal mehr Nachschub kann dann an die Front geschafft werden.«
    Sie hielten sich nahe an der Eisenbahnlinie. Die Fahrerin zeigte auf zwei auf der Strecke stehende Lokomotiven. »Sind gestern von Tieffliegern erwischt worden. Keine Zugmaschine mehr in Sicht, die die Loks wegräumen könnte. Der gesamte Verkehr wälzt sich über die Straße.«
    Sie stoppte vor dem Quellenhof. »Sie wohnen hier ja richtig nobel«, sagte sie.
    »Wohl nicht mehr lange. Aber eine Tasse Kaffee können wir Ihnen noch anbieten, bevor Sie zurückfahren.«
    »Schnaps wäre mir lieber«, brummte sie.
    »Frau Zitzelshauser, unsere Wirtschafterin, hat vermutlich noch einen in der Flasche. Steigen Sie auf einen Sprung aus.«
    »Gern. Aber wirklich nur für einen Augenblick. Ich muss mich bei unserem Giftzwerg zurückmelden.«
    »Giftzwerg?«
    »Sie haben ihn doch kennengelernt. Ist alles zu groß an ihm, die Uniform und die Schnauze. Aber ich sag Ihnen, der Zivilanzug liegt schon bereit. Der gehört zu den Konsorten, die als Erste verschwunden sind, wenn die Russen näher kommen.«
    »Unser Direktor meint, ich sei

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