So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
klingen, als sei ich leicht masochistisch veranlagt, aber ich liebte diese Mammuttouren in unserem Auto. Mich störte kein bisschen, dass wir meistens drei Tage unterwegs waren. Beim letzten Mal schafften wir es sogar innerhalb von zwei Tagen. Baba entwickelte beim Fahren aber auch immer eine Hartnäckigkeit, als wäre hinterm Lenkrad ein anderer Mensch aus ihm geworden. Er wirkte wie besessen. Es konnte ihm nie schnell genug gehen. Nicht, dass er sinnlos gerast wäre oder durch einen waghalsigen Fahrstil sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel gesetzt hätte, das niemals. Er sparte an den Pausen. Gegen die Müdigkeit trank er Cola und starken Schwarztee. Wenn sie ihn irgendwann trotzdem übermannte, gönnte er sich nur ein kurzes Schläfchen, nicht länger als eine halbe Stunde. Selbst zum Tanken hielt er nur widerwillig an, notgedrungen. Pinkelpausen mochte er überhaupt nicht. Tayfun brachte ihn immer ganz in Rage, weil er alle zwei Stunden auf die Toilette musste. Ich traute mich das nicht und unterdrückte das Bedürfnis, mich zu entleeren, so lange ich es irgendwie schaffte. Ein Training, von dem ich heute noch profitiere. Da ich locker einen halben Tag auskomme, ohne einmal aufs Klo rennen zu müssen, brauche ich nie unsere ekligen Schultoiletten zu benutzen.
Anne war für unsere Reisen aber mindestens genauso wichtig wie Baba, der sich zwar einige Male verfuhr, uns aber stets sicher und unbeschadet zum Ziel kutschierte. Ohne sie wären die Fahrten gar nicht durchführbar gewesen. Sie kümmerte sich um die logistischen Dinge, und das im weitesten Sinne. Spätestens drei Wochen vor Ferienbeginn startete sie mit den Vorbereitungen. Sie packte unsere Koffer, jeweils einen für Tayfun und für mich und für sich und Baba einen zusammen. In einem vierten brachte sie sämtliche Geschenke unter, die wir für die Verwandtschaft mitnahmen. In dem verstauten wir auf dem Rückweg all die Sachen, die wir in der Türkei kauften. Die Koffer hatten im Auto alle ihren festen Platz, jeder Kubikzentimeter musste sinnvoll genutzt werden. Baba fährt einen Dreier-BMW, ein schönes Auto, aber bestimmt kein Straßenkreuzer. Man darf nicht vergessen, dass wir eine türkische Familie sind und dass Anne eine türkische Mama ist, der das leibliche Wohl ihrer Lieben mindestens so sehr am Herzen liegt wie einem König seine Krone. Das heißt, wir brauchten noch Platz für Essensvorräte, als wären wir für die Versorgung einer halben Kompanie zuständig. Sucuk , das ist Rohwurst, die man in der Pfanne brät, Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Käse, Olivenöl, Gewürze, Honig, Marmelade, Brot, Butter, Chips und Snacks und andere Süßigkeiten, außerdem zig Wasserflaschen und noch mehr Coladosen. Dazu mussten ein Kocher und eine Pfanne mit, Tassen, Gabeln, Kochlöffel, Kannen zum Teekochen, fast eine komplette Küchenausstattung. Und natürlich ging auch nichts ohne Kühlschrank, der von der Autobatterie mit Strom versorgt wurde, schließlich fuhren wir in den Süden.
Wir glichen einer rollenden Verpflegungsstation. Eine
der beiden Aufgaben, die Anne dann während der Fahrt übernahm, stellte nur die Fortsetzung ihrer Vorarbeiten dar: Sobald bei einem von uns ein Hungergefühl aufkam, trat sie in Aktion. Dabei bewies sie unglaubliches Geschick, denn auch auf Essenspausen verzichtete Baba gern. Also schnitt sie Gurken, Tomaten und Zwiebeln klein, während wir mit hundert oder hundertzwanzig über die Autobahn düsten, würzte alles mit Salz und Olivenöl - und fertig war der Salat. Dazu reichte sie Börek , eine Art Auflauf mit Schafskäse, den sie zu Hause für die Reise zubereitet hatte. Serviert wurde auf kleinen Papptellern. War Baba auch hungrig, fütterte sie ihn. Und wenn er sich doch mal überreden ließ, anzuhalten, damit Anne auch ihren Kocher benutzen konnte, entstanden kleine Festmenüs - jedenfalls dafür, dass wir auf einem Rastplatz saßen. Manchmal kamen sogar wildfremde Menschen, die auch gerade eine Pause machten, zu uns und wollten etwas abhaben, weil es so lecker roch.
Wenn Aufgabe Nummer eins einer Notwendigkeit entsprang, die, zugespitzt formuliert, darin bestand, uns durch regelmäßige Nahrungszufuhr am Leben zu erhalten, ging es für Anne auch bei der zweiten Aufgabe um nichts weniger. Nur, dass sie sich dabei ausschließlich auf Baba konzentrierte. Offenbar fürchtete sie, er könnte der Anstrengung einer so langen Fahrt irgendwann nicht mehr gewachsen sein und hinterm Steuer einschlafen. Um das zu verhindern,
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