So will ich schweigen
meiste Zeit offenbar bewusst ignoriert hatten. Es beunruhigte Gemma, und
sie hätte darauf getippt, dass sie sich wegen irgendetwas zerstritten hatten – doch dann wiederum hätte sie schwören können, dass die beiden ein- oder zweimal vielsagende Blicke gewechselt hatten. War da irgendetwas passiert, wovon sie nichts mitbekommen hatte?
Als Kit am Abend zuvor von dem Spaziergang mit Duncan zurückgekommen war, hatte er voller Begeisterung von dem Boot erzählt, das er gesehen hatte, und von der Inhaberin, die ihn und Duncan eingeladen hatte, sie noch einmal zu besuchen. War er jetzt einfach nur verstimmt, weil der traditionelle Pub-Lunch am zweiten Weihnachtstag seine Ausflugspläne durchkreuzt hatte?
Wenn dem so wäre, würde er das Barbridge Inn vielleicht als einigermaßen passable Entschädigung empfinden, dachte Gemma, als sie mit Duncan den Tisch in der Nähe des Kamins erreichte, den die Familie sich rechtzeitig gesichert hatte. In London bekamen die Jungen nur selten ein Pub von innen zu sehen, aber das Barbridge gehörte zu jenen familienfreundlichen Landgasthöfen, wo Kinder im Restaurantbereich willkommen waren.
Es war wirklich ein einladendes Lokal, wie Gemma zugeben musste: direkt am Kanal in dem kleinen Weiler Barbridge gelegen, nur ein oder zwei Meilen vom Bauernhaus der Kincaids entfernt. Die weitläufigen Gasträume waren mit alten Holztischen und gemütlichen, abgewetzten Polsterbänken möbliert, in jedem brannte ein Feuer im offenen Kamin, und an den Wänden hingen Drucke mit Kanalmotiven. Es gab sogar ein Bücherregal, voll mit alten Wälzern, die die Wirtsleute auch verkauften, und im großen Saal bereitete sich eine Jazzband auf ihre Session vor.
Die Musiker waren nicht mehr die Jüngsten – alle von hier und alles Freunde von Hugh, wie Rosemary erklärte, als Gemma und Kincaid wieder Platz genommen hatten. Juliet
saß mit dem Rücken zum Kamin. Seit ihrer Rückkehr vom Polizeirevier war sie sehr still gewesen, doch Gemma hatte den Eindruck, dass sie sich in der gemütlichen Atmosphäre des belebten Pubs allmählich zu entspannen begann. Ihre Züge wirkten weicher, nicht mehr so gequält und verkniffen wie zuvor.
Die Kinder hatten sich an einen kleinen Tisch neben dem der Erwachsenen gesetzt und ihre Stühle so gerückt, dass sie die Band sehen konnten, aber Sam drehte sich immer wieder zu seiner Mutter um, als wollte er sich vergewissern, dass sie nicht plötzlich verschwunden war.
Gerade als das Essen serviert wurde, fing die Band an zu spielen, und während sie die einfache, aber schmackhafte Pub-Küche genossen, wippten sie alle unter dem Tisch im Takt mit den Füßen. Nach ein paar Bissen ließ Toby schon sein Hühnchen mit Pommes stehen, sprang auf und begann mit der vollkommen unbefangenen Hingabe eines Fünfjährigen zu den Klängen der Band auf und ab zu hüpfen. Es war eine fröhliche Musik, fand Gemma, Dixieland-Jazz mit einem unwiderstehlichen, beschwingten Rhythmus, und die Musiker waren nicht nur sehr gut, sondern schienen auch großen Spaß an der Sache zu haben.
Als die Band eine Pause einlegte und die Musiker sich mit ihren Taschentüchern den Schweiß von der Stirn wischten, brach das Publikum in stürmischen Applaus und Jubelrufe aus. Gemma hatte gerade ihren Stuhl zurückgeschoben, um mit Toby nach vorne zu gehen und ihm die Instrumente zu zeigen, da bemerkte sie, wie Juliets Miene plötzlich erstarrte. Als sie sich umdrehte, sah sie Caspar Newcombe ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen. Sie wusste nicht, wie lange er sie alle schon unbemerkt beobachtet hatte, doch jetzt trat er an den Tisch und stellte sich so hin, dass Juliet sich nicht vom Fleck rühren konnte.
»Dachte ich mir’s doch, dass ich euch hier finden würde«, sagte er erstaunlich freundlich und blickte mit einem Lächeln in die Runde, das Gemmas Blut gefrieren ließ. Sie kannte diese Art von Selbstbeherrschung, und sie war erschreckender als jedes trunkene Gebrüll. »Ihr seid solche Gewohnheitstiere – zum Glück für mich, da ihr euch ja nicht die Mühe gemacht habt, mich zu eurem kleinen geselligen Beisammensein einzuladen.«
Aus dem Augenwinkel sah Gemma, dass Piers Dutton und sein Sohn offenbar mit Caspar gekommen waren, doch sie beobachteten die Szene von der Theke aus, als wollten sie nicht in die heraufziehende Katastrophe hineingezogen werden.
»Ich dachte, wir könnten uns vielleicht mal ganz in Ruhe unterhalten«, fuhr Caspar fort, der seine ganze Aufmerksamkeit jetzt auf
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