So will ich schweigen
Juliet konzentrierte. »Du hast dich sehr verantwortungslos verhalten, und du bist offensichtlich nicht in der Lage, für die Kinder zu sorgen. Ich werde sie jetzt mit nach Hause nehmen. Und du« – er zeigte mit dem Finger auf sie, und seine sorgfältig gewahrte Selbstdisziplin geriet ins Wanken -, »du kannst meinetwegen machen, was du willst, du dumme …«
»Caspar, mach bitte keine Szene«, ging Kincaid in ruhigem, aber bestimmtem Ton dazwischen. Die Leute begannen sich schon zu ihnen umzudrehen, und die Gespräche an den Nachbartischen waren verstummt.
»Ich? Eine Szene machen?« Caspars Stimme triefte vor Sarkasmus. »Und welchen Rat hast du deiner Schwester gegeben, als sie sich ohne ein Wort aus dem Haus meiner Eltern gestohlen hat? Hast du ihr etwa gesagt, es sei nicht weiter schlimm, dass sie meine Eltern beleidigt und die Kinder völlig verstört hat?« Er spielte die Rolle des zu Recht erzürnten Ehemanns mit Verve, doch Gemma hatte das merkwürdige Gefühl, dass dieser Auftritt nicht allein für Juliet und den Rest der Familie bestimmt war.
»Du bist es, der hier die Kinder verstört.« Hugh stand auf, offenbar entschlossen, sich in die Bresche zu werfen, und Gemma erinnerte sich an die Vorwürfe, die er sich gemacht hatte, weil er seine Tochter am Heiligabend nicht gegen Caspars verbale Attacke verteidigt hatte. »Das ist weder die Zeit noch der Ort …«
»Sei still! Würdet ihr bitte alle ganz einfach den Mund halten?« Juliet sprang auf und stieß dabei ihren Stuhl mit einem so schrillen Quietschen zurück, dass alle Gäste, die noch nicht fasziniert lauschten, auf sie aufmerksam wurden. »Niemand muss für mich sprechen. Du nimmst die Kinder nicht mit, Caspar.« Sie hatte die Hände erhoben und atmete schwer, und Gemma fürchtete, dass die Situation jeden Moment in Handgreiflichkeiten ausarten könnte.
»Sam! Lally!«, rief Caspar. »Kommt her. Auf der Stelle.«
Einige Sekunden lang wagte niemand zu atmen. Dann trat Sam langsam zu seiner Mutter. »Ich … ich will bei Mami bleiben.« Er sah seinem Vater in die Augen, und nach einer Weile wich Caspar seinem Blick aus.
»Lally.« Caspars Stimme klang jetzt drohend. Er ging auf sie zu und streckte die Hand aus.
Verzweifelt starrte Lally zuerst ihn an, dann ihre Mutter. Schließlich sprang sie von ihrem Stuhl auf und stürzte aus dem Lokal.
In den nächsten Sekunden brach das Chaos aus, als die ganze Familie instinktiv aufsprang und dem Mädchen nacheilen wollte. Doch dann erhob sich Kits Stimme laut und klar über den Tumult, mit einer Autorität, die Gemma von ihm nicht kannte. »Ich gehe ihr nach. Lasst mich mit ihr reden.«
Kincaid zögerte, dann nickte er zustimmend. Kit schnappte sich nur noch rasch Lallys Jacke, dann war er schon durch die Seitentür verschwunden, durch die auch das Mädchen gegangen war.
»So«, sagte Kincaid in einem Ton, der keine Widerrede duldete. »Jules, du bleibst bei Sam.« Er legte die Hand scheinbar ganz leicht auf die Schulter seines Schwagers, doch Gemma sah, wie Caspar unter dem Druck zusammenzuckte. »Caspar, du kannst die Kinder nicht zwingen, mit dir zu gehen«, fuhr er fort. »Wenn sich alle ein bisschen beruhigt haben, werdet Juliet und du euch sicher auf eine Besuchsregelung einigen können.
Und übrigens habe ich gerade gesehen, wie der Barmann nach dem Telefonhörer gegriffen hat. Ich schätze mal, dass er eine Ruhestörung melden will. Ich würde dir dringend raten zu verschwinden, ehe die Polizei hier eintrifft – es sei denn, du willst dich noch mehr blamieren. Komm, ich gehe mit dir nach draußen, ja?«
Kit schob sich durch die Tür, die zu dem Kinderspielplatz neben dem Pub führte, und blieb stehen, um sich zu orientieren. Der bläulich graue Himmel hatte sich so tief herabgesenkt, dass er mit dem Horizont zu verschmelzen schien, und ein feiner Dunst hing in der frostigen Luft. Auf den Klettergerüsten und den Zweigen der umstehenden Bäume begann sich eine Reifschicht zu bilden. Hinter dem Grundstückszaun fiel die Wiese sanft zum Kanal hin ab. In die Uferbefestigung aus Beton waren Ringe zum Vertäuen der Leinen eingelassen. Sämtliche Liegeplätze waren besetzt, doch die Boote lagen dunkel und verlassen, die Vorhänge zugezogen, die Decks mit Planen verhüllt.
Lally stand am Ufer, die Schultern hochgezogen, und starrte auf den Kanal hinaus. Sie musste die Tür gehört haben, denn jetzt machte sie eine Vierteldrehung und begann mit zögernden Schritten die Uferbefestigung
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