So will ich schweigen
wieder um, als wäre sie eine Marionette.
»Pssst«, machte er. »Ihr wollt doch nicht, dass alle mitkriegen, was ihr euch zu sagen habt. Ich könnte mir vorstellen, dass eure Familie davon vorläufig mehr als genug hat.« Damit erreichte er nur, dass Lally sich umso heftiger wehrte, doch als sie sah, dass Kit auf sie zutrat, um einzugreifen, entspannte sie sich, und Leo ließ sie los.
»Wo wollt ihr hin?«, fragte Leo so beiläufig, als wäre er ihnen nur zufällig auf der Straße begegnet, anstatt sich von hinten an sie heranzuschleichen und sie zu Tode zu erschrecken.
»Wir gehen nur ein bisschen spazieren. Die Boote anschauen«, antwortete Kit und hoffte, damit deutlich gemacht zu haben, dass sie keinen Wert auf seine Gesellschaft legten. Er ging weiter zum anderen Ende der Brücke, und Lally folgte ihm.
»Dann komme ich mit.« Leo schloss sich Lally an. »Mein Alter ist mit deinem Papa losgezogen, Lally – sie wollen sich in einem ›gastfreundlicheren‹ Pub die Hucke vollsaufen -, also stehe ich euch für den Rest des Abends zur Verfügung.«
»Dein Vater hat dich einfach allein gelassen?«, fragte Kit, dessen Neugier stärker war als seine Antipathie.
»Ich bin ja schließlich kein Baby mehr, im Gegensatz zu manchen anderen«, giftete Leo. Dann lächelte er. »Ich hab gesagt, ich würde zu Fuß nach Hause gehen. Es ist nicht weit. Ihr könnt ja mitkommen, dann schauen wir uns die Stelle an, wo Juliet diese berühmte Mumie gefunden hat.« Er zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche seiner Marinejacke, klopfte zwei heraus und gab eine davon Lally, ohne zu fragen, ob sie sie überhaupt wollte. Sie blieb stehen und berührte seine Hand, als sie das Ende der Zigarette in die Flamme hielt, und die selbstverständliche Intimität der Geste traf Kit wie eine Faust in den Magen.
»Du kannst nicht einfach so einen Tatort betreten«, sagte er, als sie im Gänsemarsch den Leinpfad entlanggingen, Leo voran. »Das weiß doch jedes Kind.«
»Wer soll uns denn dabei sehen?«, konterte Leo. »Die Polizei hat schon alles eingesammelt, und da ist nur noch so ein blödes Absperrband. Wen soll das denn bitte aufhalten?«
»Du könntest Spuren vernichten.«
»Ach, hör ihn dir an, den kleinen Kommissar! Schlägst wohl ganz nach dem Papa, wie? Und überhaupt, was macht das schon? Das Ding hat wahrscheinlich schon ewig dagelegen. Stell dir bloß vor, Lally …«
»Halt’s Maul, Leo.« Lally blieb so abrupt stehen, dass Kit in sie hineinlief. »Das ist echt fies von dir. Ich gehe keinen Schritt weiter, wenn du nicht endlich still bist.« Die Feuchtigkeit in der Luft hatte sich in glitzernden Perlen auf ihrem dunklen Haar abgesetzt, und jetzt formte sich ein kleiner Tropfen an ihrer Nasenspitze. Sie wischte ihn mit dem Jackenärmel ab, ohne den Blick von Leo zu wenden.
»Okay, okay.« Leo hob abwehrend die Hände, dann zog er an seiner Zigarette. »Vergiss es. Ich hab sowieso schon einen neuen Platz gefunden.«
Er und Lally sahen sich noch einen Moment länger an, in
einem wortlosen Zwiegespräch. Dann schob sich Lally an Leo vorbei und trottete stumm und mit gesenktem Kopf weiter. Kit wollte schon die Hand nach ihr ausstrecken und vorschlagen, dass sie umkehrten, als wenige Meter vor ihnen die Umrisse eines Boots aus dem Nebel auftauchten. Er erkannte es sofort wieder.
Zwar war die saphirblaue Farbe durch die Feuchtigkeit getrübt, doch die eleganten Linien der Lost Horizon waren unverkennbar. In der Kabine brannte Licht, und eine Rauchwolke hing schwer über dem Schornstein, kaum unterscheidbar von dem Nebel, der sie umgab. Annie Lebow war zu Hause.
Im ersten Impuls wollte Kit sie schon rufen. Er könnte Lally das Boot zeigen; sie könnten sich aufwärmen; vielleicht würde Annie ihnen sogar etwas Warmes zu trinken anbieten. Aber dann wurden ihm gleichzeitig zwei Dinge klar.
Erstens wollte er ein Erlebnis, das ihm so viel bedeutete, nicht mit Leo teilen, und er sah momentan keine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Zweitens hatte er erwartet, die Horizon oberhalb von Barbridge anzutreffen, auf dem Middlewich-Arm, wo er sie gestern gesehen hatte. Hatte Annie sich das mit der Einladung doch noch anders überlegt? Vielleicht hatte sie es ja von Anfang an nicht ernst gemeint.
Er fand die Vorstellung, dass sie gar nicht vorgehabt hatte, ihre Verabredung einzuhalten, so demütigend, dass er abrupt stehen blieb und sich wünschte, er wäre weit weg auf einem anderen Planeten. Die beiden anderen blieben ebenfalls stehen
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