So will ich schweigen
entlangzugehen, weg vom Pub.
»Lally, warte!«, rief Kit. »Ich bin’s!«
Sie blieb stehen und stieß mit der Spitze ihres Turnschuhs einen der Eisenringe an, ohne sich zu ihm umzublicken. »Hau ab, Kit. Lass mich in Ruhe.«
Kit schlüpfte durch das Tor im Spielplatzzaun und rannte über den Rasen hinunter zum Ufer. »Wir können reden«, sagte er, als er außer Atem neben ihr anhielt. »Hier.« Er gab ihr ihre Jacke. »Ich dachte, die brauchst du vielleicht.«
»Ich will nicht reden«, sagte sie, doch die Jacke zog sie gleich an.
»Hör mal, ich …« Er hatte sagen wollen, dass er wisse, wie sie sich fühlte, doch dann wurde ihm klar, dass das nicht ganz stimmte. Wie konnte er das wissen? Es waren schließlich nicht seine Eltern gewesen, die sich gerade eben vor allen Leuten im Pub gestritten hatten.
Zum ersten Mal begriff er, wie es anderen Menschen gehen musste, wenn sie mit ihm über seine Mutter zu reden versuchten. Wenn sie ihm sichtlich verlegen versicherten, dass sie ihn verstünden, machte ihn das nur wütend – sie konnten einfach nicht wissen, wie es war, wie er sich fühlte. Doch jetzt erkannte er, dass es gar nicht darauf ankam, ob sie ihn verstanden – was sie tatsächlich nicht konnten. Aber sie wollten ihm wirklich helfen und gaben sich alle Mühe.
Und seine eigene Erfahrung sagte ihm auch, dass Lally in Wirklichkeit gar nicht allein gelassen werden wollte, so deutlich sie auch gesagt hatte, dass sie nicht reden wolle. Sie war ein paar Schritte weitergegangen, bis zum Rand der Betonbefestigung, und stand nun gefährlich nahe an der Wasserkante. Hinter ihr spannte sich eine Steinbrücke über den Kanal, über die man zum Leinpfad auf der anderen Seite gelangte.
Kit blickte sich zum Pub um. Wenn er zurückginge, um zu sagen, dass er mit Lally einen Spaziergang machen wolle, wäre sie vielleicht hinterher nicht mehr da. Seine Eltern würden einfach darauf vertrauen müssen, dass er sich um sie kümmerte.
»Komm«, sagte er und begann den Hang zum Spielplatz und der Straße hinaufzugehen. »Wir schauen uns die Boote auf der anderen Seite an.« Er drehte sich nicht um, gab ihr einfach keine Chance, sich zu weigern, und nach einer Weile hörte er das patschende Geräusch ihrer Schritte im nassen Gras. Oben auf der Straße ging er etwas langsamer, bis sie ihn eingeholt hatte, sah sie aber immer noch nicht an und schwieg weiter beharrlich.
Auf dem höchsten Punkt der Brücke blieben sie in stummem Einverständnis stehen und blickten kanalabwärts. Am linken Kanalufer hatten ein Dutzend Boote dicht hintereinander festgemacht, wie bunt bemalte Eisenbahnwaggons auf einem überfluteten Abstellgleis.
Rechts war eine Reihe von Häusern zu sehen, deren Grundstücke an private Anlegestellen grenzten, und dahinter zeichneten sich die Umrisse einer Gruppe von Nadelbäumen gespenstisch im Nebel ab. Mit ihren blanken Stämmen und den vollen Kronen sahen sie aus wie die Bäume, die Toby immer malte.
»Früher bin ich immer gerne mit Sam hierhergekommen.« Lallys Stimme klang leise und geisterhaft. »Wir haben auf dem Spielplatz geschaukelt, und im Sommer konnte man abends in die Boote reinschauen. Ich habe den Familien zugesehen und mir vorgestellt, dass ihr Leben einfach perfekt wäre.«
Kit kannte das Spiel. Als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte auch er den Nachbarn in die Fenster geschaut und sich gefragt, wie es wohl wäre, Geschwister zu haben. Dann, nachdem Ian ihn und seine Mutter verlassen hatte, hatte er Familien mit Vätern beobachtet und sich gefragt, warum manche bei ihren Frauen und Kindern blieben und andere nicht. Und wenn er heute nach Einbruch der Dunkelheit in ein Fenster ohne Vorhang blickte, bildete er sich oft ein, das Gesicht seiner Mutter zu sehen – nur für einen kurzen Augenblick.
Seine Hände waren kalt, und er vergrub sie tiefer in den Taschen seiner Jacke. »Kein Leben ist perfekt.«
Lally fuhr herum, und ihre Augen funkelten wütend. »Also, meins ist jedenfalls total beschissen. Wie konnten meine Eltern nur so blöd sein. Und mein Papa – du weißt ja nicht, wie er ist. Er wird …«
»Na, hast dich wohl davongeschlichen, um deinem kleinen Cousin dein Herz auszuschütten?« Die Stimme war aalglatt und voller Hohn, und Kit erkannte sie, noch während er vor Schreck unwillkürlich zusammenfuhr.
»Leo! Du Schwein!« Lally wirbelte herum und trommelte mit den Fäusten auf die Brust des Jungen, doch Leo packte ihre beiden Handgelenke mit einer Hand und drehte sie
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