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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Anrufe in zwei Tagen?« Roger klang amüsiert. »Womit habe ich diese intensive Zuwendung verdient?«
    »Ich … ich wollte einfach nur reden.«
    »Geht es dir gut?«, fragte er. Seine Heiterkeit war sofort in Besorgnis umgeschlagen.
    »Ja. Ich glaube schon«, antwortete Annie. Dann musste sie selbst lachen, weil sie so überrascht geklungen hatte. »Doch. Wirklich.«
    »Also, wie sieht’s aus mit essen gehen? Ich könnte dich mit dem Wagen abholen.«
    Sie sah nach der Uhr und spähte dann durch die halb geschlossene Jalousie des Kabinenfensters hinaus. Nebelschwaden
wallten gegen die Scheibe und wanden sich wie die Tentakel eines weißen Ungetüms. »Der Nebel ist inzwischen sehr dicht. Ich glaube, ich sollte es lieber nicht riskieren, mit dem Boot weiterzufahren, und ich liege auf halbem Weg zwischen Barbridge und Hurleston Junction. Da wärst du ziemlich lange unterwegs, und außerdem könnte es auf den Straßen glatt werden.« Aber noch während sie diese praktischen Einwände vorbrachte, spürte sie, wie die Enttäuschung in ihr aufstieg. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er so schnell zurückrufen würde, und bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, mit ihm über ihre Sorgen und Nöte sprechen zu können.
    »Dann vielleicht morgen?«, fragte er, und sie hörte die Hoffnung aus der vorsichtigen Frage heraus.
    »Morgen«, sagte sie mit Bestimmtheit.
     
    Kit erwachte mit einem Ruck und sog gierig die Luft in seine Lungen, während das Hämmern seines Pulses ihm immer noch in den Ohren dröhnte. Als er sich aufsetzte, sah er, dass er die Decke auf den Boden geworfen und die arme Tess wieder ans Fußende des Betts geschoben hatte. Es war still im Zimmer, bis auf das Geräusch von Tobys Atem, und das Licht, das durch den Spalt im Vorhang fiel, hatte den perlmuttartigen Schimmer des frühen Morgens.
    Einigermaßen beruhigt beugte Kit sich über den Bettrand, um die Decke aufzuheben, und zog Tess zu sich heran. Die kleine Hündin leckte ihm freudig das Kinn, und er drückte sie an sich und rieb seine Wange an den rauen, elastischen Haaren auf ihrem Kopf. Dann ließ er sich wieder auf das Kissen sinken, und während Tess sich in seine Armbeuge kuschelte, zwang er sich, den Albtraum unter die Lupe zu nehmen. Dieser hier war ganz anders gewesen.
    Er war am Fluss spazieren gegangen, hinter dem Cottage in
Grantchester, wo er die ersten elf Jahre seines Lebens mit seiner Mutter gewohnt hatte und die ersten zehn davon mit dem Mann, den er als seinen Vater gekannt hatte, Ian McClellan. Es war die Zeit der Abenddämmerung, und er konnte die kalte, feuchte Luft riechen, die vom Fluss aufstieg … nur dass ihm im Traum plötzlich klar geworden war, dass es gar kein Fluss war, sondern ein Kanal.
    Dann hatte er Licht im Fenster des Cottage gesehen und war darauf zugelaufen, war über den vertrauten Rasen geschwebt wie ein Geist. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl, dass das Fenster sich von ihm entfernte, doch als er es endlich erreichte und hineinschaute, war es nicht seine Mutter, die er erblickte, sondern Lally. Sie drehte sich zu ihm um, doch ihr Gesicht war blass und seltsam ausdruckslos, und Blut troff von ihren Händen und klatschte auf den weißen Boden …
    Nein, es war gar kein Fußboden, sondern Schnee, und Blutflecken breiteten sich in dem weißen Pulver aus wie rote Blüten, die vor seinen Augen aufgingen, und er rannte und rannte, versuchte sie einzuholen, doch der Schnee blieb an seinen Füßen hängen, und seine Beine wurden schwerer und schwerer. Dann schlüpfte die dunkle Gestalt vor ihm durch eine Öffnung, und als Kit ihr folgte, erkannte er plötzlich, wo er war – es war der Eibentunnel im Garten seines Freundes Nathan.
    Hoffnung regte sich in ihm: Hier war er zu Hause, hier könnte er sie festhalten, hier wäre sie in Sicherheit. Doch seine Füße blieben immer noch im tiefen Schnee stecken, und gerade als er sich darüber wunderte, dass in einem Tunnel Schnee liegen konnte, merkte er, dass es gar nicht die Eibenhecke war, sondern ein Kanaltunnel, und es war nicht Schnee, was da über seinem Kopf zusammenschlug, sondern Wasser …
    Reflexartig war er zusammengezuckt und davon wach geworden, doch noch die Erinnerung an den Traum ließ ihn erschauern. Tess winselte, und er merkte, dass er sie so fest gepackt
hatte, dass er ihr wehgetan hatte. »Entschuldigung, Mädchen, tut mir echt leid«, flüsterte er und streichelte sie, während er mit aller Kraft die

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