So will ich schweigen
der Hand, bis er die Kälte in den Fingerspitzen spürte, und blickte aus dem Fenster über der Spüle in den Garten hinaus. Er sah eine weite grüne Rasenfläche, hier und da durchbrochen von den schwarzen Silhouetten kahler Obstbäume. Im Frühling, wenn die Bäume in Blüte standen, musste es ein herrlicher Anblick sein. Was konnte Annie Lebow bewogen haben, all das aufzugeben für ein Leben auf einem sieben mal sechzig Fuß großen Boot, so luxuriös es auch ausgestattet sein mochte?
Er ging zum Tisch zurück und berührte Roger Constantines Schulter. Der Journalist blickte auf, nahm das Glas und leerte es gierig wie ein ausgedörrter Wanderer in der Wüste.
»Danke«, sagte er heiser, während er das leere Glas auf dem Tisch abstellte. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die tränennassen Wangen. »Entschuldigen Sie, ich habe ganz vergessen … ich hätte Tee da, wenn Sie möchten.«
»Nein, danke, bemühen Sie sich nicht«, sagte Kincaid. Er setzte sich wieder an den Tisch, diesmal jedoch auf den Stuhl neben Constantine, und nahm sich die Freiheit, das dichte Fell des Hundes zu streicheln. »Mr. Constantine – Roger -, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie Roger nenne?« Ohne Constantines Zustimmung abzuwarten, fuhr er fort: »Roger, gehört dieses Haus Ihnen und Ihrer Frau gemeinsam?«
Die Frage schien Constantine ein wenig zu überraschen, nicht aber zu beunruhigen. »Nein. Es ist eigentlich der Stammsitz von Annies Familie. Sie hat es geerbt, als ihre Eltern
starben. Kaufmannspiraten, so hat sie die Lebows gerne genannt. Ihr Ur-Ur-Urgroßvater hat damals von Liverpool aus mit einem einzigen Schiff angefangen, und als er sich aus dem Geschäft zurückzog, hat er sich dieses Haus als Wochenenddomizil gebaut.«
»Keine schlechte Leistung.«
»Schon, aber Annie hat sich immer ein bisschen für die Vergangenheit ihrer Familie geschämt. Sie war der Meinung, dass ihr Wohlstand auf der Ausbeutung der Armen beruhte. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum sie Sozialarbeiterin geworden ist – als eine Art Buße.«
Das erklärte wohl einiges, dachte Kincaid – nicht zuletzt, woher die Mittel für ihren vorgezogenen Ruhestand kamen, und wieso sie sich in ihrem selbst gewählten Exil nur mit dem Besten, was für Geld zu haben war, umgeben hatte. Er fragte sich, ob sie sich der Ironie bewusst gewesen war.
Und es warf einen ganzen Wust von Fragen auf. Er sah, wie Babcock sich auf seinem Stuhl aufrichtete – auch sein Interesse war offenbar geweckt.
»Das Haus hat also Ihrer Frau allein gehört – und sie war damit einverstanden, dass Sie die letzten fünf Jahre hier praktisch mietfrei wohnten?« Babcock zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
»Ja. Verdammt, wir waren schließlich verheiratet«, verteidigte Constantine sich. »Ich habe Ihnen doch gesagt …«
»Kein schlechter Deal, das müssen Sie zugeben.« Babcock schüttelte den Kopf. »Wenn meine Ex nur halb so großzügig gewesen wäre … Und wer erbt nun das Ganze, wenn Ihre Frau die Letzte ihrer Familie war?«
»Ich, soviel ich weiß.« Constantine starrte ihn an, und seine helle Haut lief rot an. »Sie wollen mir doch wohl nicht unterstellen, ich hätte meine Frau wegen dieses Hauses umgebracht! Das ist eine Unverschämtheit!«
Beim Ton der Stimme seines Herrn spannte der Hund die Muskeln an, seine Nackenhaare stellten sich auf, und er ließ ein leises, gedehntes Grollen hören. Kincaid zog vorsichtig seine Hand zurück. Er hätte jetzt lieber nicht ganz so nahe neben dem Tier gesessen.
»Es ist ein stattliches Anwesen«, fuhr Babcock unbeeindruckt fort. »Dürfte bei den heutigen Immobilienpreisen ein hübsches Sümmchen einbringen – sehr praktisch, wenn man zufällig gerade knapp bei Kasse ist. Hatten Sie übrigens eine Lebensversicherung auf Ihre Frau abgeschlossen?«, fügte er im Plauderton hinzu.
Nach einigem Zögern antwortete Constantine: »Ja. Wir haben uns beide vor Jahren gegenseitig versichert, gleich nachdem wir geheiratet haben. Es ist nur eine kleine Prämie – ich bin nie auf den Gedanken gekommen, daran etwas zu ändern.« Er blickte von Babcock zu Kincaid, und seine Empörung wich einem flehenden Ton. »Mein Gott, Sie können doch nicht glauben …«
»Mr. Constantine«, fragte Babcock, »was haben Sie gestern Abend gemacht, nachdem Sie mit Ihrer Frau telefoniert hatten?«
Zum ersten Mal glaubte Kincaid in den Augen des Mannes Panik aufflackern zu sehen. »Nichts«, sagte Constantine. »Ich meine, ich war
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