So will ich schweigen
was aus diesem kleinen Mädchen geworden ist, falls es überhaupt noch irgendwo existiert.«
Gemma hörte den Schmerz in Juliets Stimme und wusste, dass sie einen Nerv getroffen hatte. »Ich habe so meine Zweifel, ob Lally das selbst überhaupt weiß.« Sie aß noch ein paar Löffel von ihrer Suppe, um dann ein Stück von dem knusprigen dunklen Brot abzubrechen und den Deckel von einer Portionspackung Butter zu ziehen. »Ich weiß noch, als ich so alt war wie Lally, hat meine Mutter immer zu mir gesagt, ich müsse wohl von Außerirdischen entführt worden sein.« Juliet lächelte, und Gemma, die das als Ermutigung auffasste, fuhr fort: »War Lally auch schon so schwierig, bevor die Probleme mit Caspar anfingen?«
Juliet runzelte die Stirn und erwiderte: »Das kann ich gar nicht so richtig sagen. Das ganze letzte Jahr war wohl nicht leicht für sie, aber inzwischen frage ich mich, ob es vielleicht früher schon Signale gab, die ich einfach nicht wahrgenommen habe.«
Gemma musste daran denken, wie blind sie für die Probleme gewesen waren, die Kit offenbar in der Schule hatte, und schluckte ein wenig zu hastig. Sie hustete, bis ihr die Tränen kamen, winkte jedoch ab, als Juliet sich besorgt vorbeugte.
Dann dachte sie an Kits neue Freundschaft mit Lally, und eine plötzliche Furcht erfasste sie. Gewiss konnte sie sich darauf verlassen, dass er keine Drogen anrühren würde, ganz gleich, was er für Lally empfinden mochte – er war doch immer so ein vernünftiger Junge gewesen. Aber ein Splitter des Zweifels hatte sich in ihr Herz gebohrt wie eine eisige Nadel, und sie stellte fest, dass ihr der Appetit vergangen war.
»Nach Peters Tod ist es natürlich schlimmer geworden«, sagte Juliet, und Gemma blickte überrascht auf.
»Peter?«
»Ein Schulfreund von Lally. Peter Llewellyn. Er ist im Kanal ertrunken. Es war …« Juliet schob ihren Teller weg, als könne sie plötzlich auch keinen Bissen mehr hinunterbekommen, so gut das Essen auch sein mochte. »Es war Alkohol im Spiel. Es war ein solcher Schock – Peter war der letzte Junge auf der ganzen Schule, von dem irgendjemand geglaubt hätte … Und Lally, Lally schien es sehr schwer zu nehmen, aber sie wollte mit mir nicht darüber reden.«
Gemma erkannte ihre Chance. »Wurde sonst noch irgendetwas im Körper des Jungen nachgewiesen?«
»Sonst noch etwas? Was meinst du damit?« Juliet klang vollkommen verdutzt, und Gemma wusste, dass es kein leichtes Gespräch werden würde.
»Drogen. Hat man in Peters Blut Drogen gefunden?«
»Nein.« Juliet schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Diese Teenies, das sind doch noch die reinsten Kinder. Ich meine, mit Alkohol experimentieren, ist eine Sache, aber …«
»Jules.« Gemma ertappte sich dabei, wie sie Duncans Spitznamen für Juliet benutzte – eine vertraute Anrede, die für sie noch vor einer Stunde nicht in Frage gekommen wäre. »Ich muss dir etwas sagen.«
Juliet schaute sie an, ihre dunklen grauen Augen angstvoll geweitet, sagte jedoch nichts.
Gemma blickte sich im Lokal um und sah, dass der einzige andere Gast – eine Frau, die ganz hinten in der Ecke saß – ihr Handy aus der Tasche gezogen hatte und leise hineinsprach. Der Wirt war in der Küche verschwunden. Dennoch beugte sie sich weit vor und senkte die Stimme. »Es tut mir leid. Es gibt nun mal keine angenehme Art, es dir beizubringen. Als ich Lallys Sachen zusammengesucht habe, da habe ich etwas in ihrem Rucksack gefunden. Drogen.«
»Was?«, entgegnete Juliet tonlos. Und dann: »Nein, das ist unmöglich.« Doch ihrem Protest zum Trotz wurde ihr ovales Gesicht leichenblass. »Sagest du ›in ihrem Rucksack‹? Lally hat ihren Rucksack dabei.«
»Das hier war ein alter; er lag in ihrem Schrank. Es ist der, in den ich ihre Kleider gepackt habe.«
Juliet blies erleichtert die Backen auf und wagte ein Lächeln. »Den hat Lally schon seit letztem Jahr nicht mehr benutzt. Sie muss ihn irgendwem geliehen haben, der vergessen hat, die Sachen vorher rauszunehmen.«
Gemma legte die Finger sanft auf Juliets Handgelenk. »Juliet, es tut mir wirklich leid. Aber niemand lässt solche Sachen, wie ich sie gefunden habe, aus Versehen in einem geliehenen Rucksack liegen. Die Pillen vielleicht, aber nicht das andere Zeug. Es war auch Haschisch dabei. Und selbst wenn Lally die Sachen für jemand anderen aufbewahrt hat, hat sie sich da in eine äußerst gefährliche Sache hineinmanövriert. Das musste
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