So will ich schweigen
Geruchs.
Diesmal suchte sie gründlicher und tastete die Nähte der innersten Taschen mit einem Taschentuch ab, um ihre Finger zu schützen. Ihre Gründlichkeit wurde belohnt, als sie auf ein unregelmäßig geformtes, daumennagelgroßes Päckchen aus Klarsichtfolie stieß. Vorsichtig wickelte sie es aus, doch das flaue Gefühl im Magen setzte schon ein, ehe sie überhaupt gesehen hatte, was in der Folie steckte. Es waren Tabletten. Weiß, ohne Prägung; manche oval, andere kreisrund.
Es hätte natürlich alles Mögliche sein können, aber Gemma vermutete, dass es sich bei den ovalen um Xanax oder einen
ähnlichen Tranquilizer handelte, und die runden waren wahrscheinlich Ecstasy. Sie waren ohne Kerbe und sahen irgendwie selbst gemacht aus. Was es auch sein mochte, sie war sich ziemlich sicher, dass weder diese noch die anderen Pillen Lally vom Arzt verschrieben worden waren.
Aber das war immer noch nicht alles – der Geruch war stärker geworden. Wieder steckte sie die Hand in den Rucksack, und ihre Finger stießen auf ein weicheres Päckchen. Sie musste im Grunde gar nicht mehr nachschauen – es war Haschisch, und die Menge war nicht gering.
Sie saß da und starrte den Klumpen an, den sie in der Hand hielt, als sie draußen auf dem Flur Juliets aufgeregte Stimme hörte. »Gemma, bist du bald so weit? Wir müssen uns beeilen!«
Sie zuckte zusammen, ließ die Drogen hastig in ihrer Tasche verschwinden und stopfte halblaut fluchend die Kleider in den Rucksack. »Ich komme!«, rief sie, während sie noch schnell ein paar Jeans und Pullis aus den Schubladen zog und sie ebenfalls im Rucksack verstaute, bis sie glaubte, genug für ein paar Tage zusammen zu haben.
Dann hielt sie inne, die Hand schon am Türknauf, und schöpfte Atem. Was sollte sie nun in dieser Sache unternehmen?
Wie konnte sie Juliet sagen, was sie gefunden hatte – und das ausgerechnet heute? Und wie konnte sie es ihr nicht sagen?
»Juliet …« Gemma hielt inne und konzentrierte sich darauf, die noch viel zu heiße Lauchcremesuppe umzurühren, die vor ihr auf dem kleinen Cafétisch stand. Sie vermutete, dass Juliet sich den ganzen Vormittag über nur mit Adrenalin und unzähligen Tassen Kaffee auf den Beinen gehalten hatte, und hatte deshalb darauf bestanden, dass sie erst einmal eine Kleinigkeit essen gingen, nachdem sie das Newcombe-Haus unbehelligt wieder verlassen hatten.
Juliet hatte, wenn auch widerstrebend, eingewilligt, und eine Viertelstunde später saßen sie schon im Inglenook, einem winzigen Teehaus in der Pillory Street, nicht weit vom Buchladen der Kincaids. Es war schon ein bisschen spät für ein warmes Mittagessen, doch der Wirt hatte ihnen die preisgekrönte Suppe seiner Frau empfohlen, und der Dampf, der aus Gemmas Schüssel aufstieg, duftete in der Tat himmlisch. Es war auch ganz gut, dass sie den Mittagsansturm vermieden hatten, dachte sie, denn jetzt war nur ein Tisch außer ihrem besetzt, was eine einigermaßen ungestörte Unterhaltung ermöglichte – wenn sie nur gewusst hätte, was sie sagen sollte.
Sie hatte nur einen Moment nachdenken müssen, um zu erkennen, dass sie nicht guten Gewissens ignorieren konnte, was sie in Lallys Zimmer gefunden hatte. Sie versetzte sich in Juliets Lage – was würde sie davon halten, wenn irgendjemand Beweise dafür entdeckt hätte, dass Kit Drogen nahm und weder ihr noch Duncan etwas sagte? Sie würde es wissen wollen, und sie würde es nicht so schnell verzeihen, wenn ihr irgendjemand diese Information vorenthielte.
Nachdem sie ihren Entschluss gefasst hatte, war ihr erster Impuls gewesen, Duncan anzurufen und ihn die Sache in die Hand nehmen zu lassen. Aber sie hatte rasch erkannt, dass es nur ihre Feigheit war, die dahintersteckte. Gemma kostete vorsichtig ihre Suppe, die genauso gut schmeckte, wie sie roch, und setzte dann erneut an. »Mit Teenagern hat man’s nie leicht, nicht wahr? Auch nicht unter den besten Umständen.«
Juliet blickte von ihrer Suppe auf, eine dunkle Braue überrascht hochgezogen, und Gemma fiel auf, wie sehr sie Duncan glich – wenn auch nur für einen flüchtigen Moment. Zumeist glaubte sie, vor allem Rosemary in Juliets Zügen zu sehen, und gelegentlich erinnerte ein Lächeln oder die Art, wie Juliet den Kopf schief legte, sie an Hugh. »Das ist wohl wahr«, erwiderte Juliet gedehnt und drehte ihren Löffel zwischen den Fingern.
»Lally war so ein liebes Kind, immer bemüht, es allen recht zu machen. Und heute – heute frage ich mich manchmal,
Weitere Kostenlose Bücher