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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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ein paar Strähnen aus ihrem Pferdeschwanz lösten. »Mein Gott, was rede ich? Das ist wirklich verdammt egoistisch von mir, nur an meine eigenen Probleme zu denken, während dieses arme Kind … Was glaubst du, was mit ihm passiert ist, Duncan? Und dieser rosa Strampelanzug – war es vielleicht ein Mädchen?«
    »Das können wir noch nicht wissen«, antwortete er mit sanfter Stimme. »Aber versuch nicht darüber nachzudenken. Was immer da passiert ist, es ist schon sehr lange her …«
    »So lange nun auch wieder nicht«, unterbrach sie ihn. »Diese Decke – die Kinder hatten eine aus dem gleichen Material, als sie klein waren. Es muss die von Lally gewesen sein, glaube ich, weil sie rosa war, aber wir haben sie auch für Sam benutzt.«
    »Weißt du noch, wo ihr die gekauft habt?«, fragte er, und sein Herz schlug unwillkürlich schneller – sein Ermittlerinstinkt war geweckt.
    »Im Supermarkt vielleicht. Oder in einem dieser Babybedarfsgeschäfte, die es überall gibt. Es war nichts Besonderes.«

    Er stellte sich das Kind vor, das nur ein paar Meter von ihnen entfernt lag, das Fleisch von den kleinen Knochen abgefallen, und es erstaunte ihn, mit welcher Sorgfalt es in die billige Decke gehüllt worden war. Aber er hatte schon Eltern erlebt, die ihre Kinder zu Tode geprügelt und anschließend ganz behutsam zugedeckt hatten, und so wusste er, dass dieses Detail nichts zu bedeuten hatte. Und er wollte auch nicht über diese Dinge nachdenken – nicht hier und nicht jetzt.
    »Wie schafft ihr das?«, fragte Juliet leise, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Wie könnt ihr euch Tag für Tag mit solchen Dingen befassen und trotzdem abends eure Kinder ins Bett bringen, ohne in Panik zu verfallen? Sie sind so zerbrechlich, so schutzlos. Man denkt immer, es ist am schlimmsten, wenn sie noch Babys sind, aber wenn sie dann größer und selbstständiger werden und man sie nicht mehr die ganze Zeit um sich hat, dann macht man sich auf einmal klar, was alles passieren könnte …«
    Er musste sofort an Kit denken und daran, wie blind er gewesen sein musste, dass er die Probleme aus dieser Ecke nicht vorausgeahnt hatte. Und seine Nichte war, wie er sich erinnerte, im gleichen Alter. »Jules, hast du Probleme mit Lally?«, fragte er.
    »Nein. Nein, natürlich nicht.« Juliet zog ihren Handschuh wieder aus, aber diesmal streifte sie auch den zweiten ab, nachdem sie die Heizung getestet hatte, und rieb sich die Hände im warmen Luftstrom. »Es ist nur, weil … Vor einem Monat wurde ein Junge aus Lallys Schule ertrunken aus dem Kanal gezogen. Er war vierzehn. Wie es hieß, war Alkohol im Spiel.« Sie sah zu ihm auf und hielt die Hände still. »Er war ein guter Junge, Duncan. Ein netter Junge und ein guter Schüler, hat nie irgendwelche Schwierigkeiten gemacht. Wenn es schon einem Kind wie ihm passieren kann …«
    »Ich weiß. Das heißt, dass sie alle vor so etwas nicht gefeit
sind.« Ihm wurde bewusst, dass er seine Nichte überhaupt nicht kannte, dass er nicht die geringste Vorstellung davon hatte, ob sie in irgendeiner Weise gefährdet war. »Wie geht es Lally denn damit? Das muss doch für sie sehr schlimm gewesen sein.«
    »Ich weiß es nicht. Die Schule hat für alle, die es wollten, eine psychologische Beratung angeboten, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie hingegangen ist. Sie redet nicht mehr mit mir. Aber in den letzten paar Wochen ist sie mir schon verändert vorgekommen. Noch verschlossener.« Juliet seufzte. »Vielleicht ist es ja nur das Alter. Ich war bestimmt auch ziemlich schwierig mit vierzehn.«
    »Schwierig ist gar kein Ausdruck«, frotzelte er. Doch falls er auf ein Lächeln als Reaktion gehofft hatte, sah er sich getäuscht. Juliet warf ihm einen Blick zu, den er nicht deuten konnte, stülpte sich hastig die Handschuhe wieder über und verkroch sich tiefer in ihre Jacke.
    Wie kam es nur, fragte sich Kincaid, dass er es bei seiner Schwester immer wieder schaffte, ins Fettnäpfchen zu treten?
     
    Ronnie Babcock spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern schoss, als er aus seiner Einfahrt auf die Straße zurücksetzte. So dankbar er für jeden Anlass war, den Abend nicht in Gesellschaft seiner eigenen Wenigkeit verbringen zu müssen, hatte er doch nichts Ernsteres erwartet als einen von übermäßigem Alkoholkonsum angefachten Familienkrach oder vielleicht einen Einbruch in einem Haus, dessen Bewohner über die Feiertage verreist waren. Aber ganz bestimmt hatte er nicht an eine eingemauerte

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