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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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von Taschenlampen schemenhaft eine Gruppe niedriger Wirtschaftsgebäude zu erkennen.
    Was für ein gottverlassener Ort – und wie kam es, dass diese Leute hier am Heiligabend eine Leiche entdeckt hatten? Er stapfte vorsichtig über die verschneiten Reifenfurchen, um seine Schuhe zu schonen, obwohl ihm schon klar war, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war. Wenigstens würde er nicht der Einzige mit ruiniertem Schuhwerk sein, dachte er mit einiger Befriedigung, als er den Schnitt des Mantels sah, den der andere Mann trug.
    Die Frau war recht hübsch, dunkelhaarig, und irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Und als der Mann sich dann zu ihm umdrehte und der volle Lichtschein sein Gesicht erhellte, entfuhr Ronnie Babcock ein unwillkürlicher Überraschungslaut. Was um alles in der Welt machte der denn hier?
    »Ich glaub, ich seh nicht recht«, sagte er, als er die beiden erreichte. »Wenn das nicht mein alter Kumpel Duncan Kincaid ist!«
     
    Ihre Haut war blass und fühlte sich klamm an. Schlimmer noch – im Dämmerlicht der Kabine schien es Gabriel Wain, dass die Lippen seiner Frau einen Stich ins Bläuliche hatten. Als er ihr das dunkle Haar aus der Stirn strich, regte sie sich unruhig unter seiner Berührung und schlug die Augen auf.
    »Gabe, du vergisst es doch nicht, ja?«, flüsterte sie. »Sie wären sonst so enttäuscht …«

    »Natürlich vergesse ich es nicht, Frau. Ich mach’s, sobald sie eingeschlafen sind, versprochen.« Aus der Kabine nebenan war Geraschel und dann und wann ein Kichern zu hören – ihr Sohn und ihre Tochter, die vor Aufregung und Vorfreude auf Weihnachten noch lange nach ihrer Schlafenszeit wach waren. Die Strümpfe mit den Geschenken würden sie am Fußende ihrer Kojen finden, auch wenn es nur Stricksocken mit Orangen, Zuckerbonbons und ein paar netten Kleinigkeiten aus dem Laden an der Venetian Marina waren.
    In der großen Kabine waren noch ein paar andere Überraschungen versteckt, verpackt in Buntpapier: Malstifte und Farben; ein paar raffinierte dreidimensionale Karten mit Szenen des Lebens auf dem Kanal, die die Kinder über ihren Betten aufhängen könnten; für jeden ein Buch. Und dann noch eine Puppe für die siebenjährige Marie und für den neunjährigen Joseph sein erstes Taschenmesser. Damit sie sich diese Sachen leisten konnten, hatte Rowan viele Stunden zusätzlich arbeiten müssen. Um das Familieneinkommen aufzubessern, bemalte sie Teller, Tassen und Teekannen mit den traditionellen Rosen- und Burgenmotiven der Kanalschiffer. Doch nun war sie von der übergroßen Anstrengung erschöpft. In letzter Zeit brauchte es allerdings nicht viel, um sie zu erschöpfen. Die Sorge wühlte in seinen Eingeweiden wie ein Wurm, und seine Hilflosigkeit angesichts ihrer zunehmenden Hinfälligkeit machte ihn so wütend, dass seine Hände unentwegt zitterten. Doch er versuchte, diese Gefühle vor ihr zu verbergen. Er wusste, warum sie nicht in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt Hilfe suchen wollte – er begriff ebenso gut wie sie, was die Folgen sein würden. Und so tat er, was er konnte: Mit dem Boot und den Schleusen ließ er sich von den Kindern helfen, überdies hatte er auch fast den ganzen Haushalt übernommen, und er gab sich alle erdenkliche Mühe, die Kinder zu trösten und darauf zu achten, dass sie ordentlich lernten.

    Aber es war nicht genug – er wusste, dass es nicht genug war, und er wusste, dass er ohne Rowan verloren wäre.
    Er rückte ein Stück näher an die Bettkante, um seiner Frau die Decke fester um die Schultern ziehen zu können. Selbst durch seinen dicken Pullover hindurch konnte er die Kälte spüren, die langsam, aber sicher in jeden Winkel des Boots drang. Die einzige Wärmequelle war der Ofen in der Wohnkabine, aber so spät am Abend wagte er kein Holz mehr nachzulegen. Er hatte immer einen Vorrat an Brennholz auf Deck gelagert, sowohl für ihren eigenen Bedarf als auch zum Verkauf an andere Schiffer. Und jetzt um die Weihnachtszeit, wo kaum noch Gelegenheitsjobs zu bekommen waren, konnte er es sich nicht leisten, ihre einzige Geldquelle einfach zu verheizen. Bei der geschlossenen Schneedecke würde es auch schwierig sein, den Brennholzvorrat aufzustocken – wenn das kalte Wetter länger als ein paar Tage andauerte, würden sie ernsthafte Probleme bekommen.
    Rowans Augenlider wollten schon wieder zufallen. »Jetzt schlaf schön, hörst du?«, flüsterte er. »Ich kümmere mich um alles.« Und das würde er auch – nur wie er es schaffen sollte, das

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