So will ich schweigen
oder ob er mit seinem Glas in die Küche oder ins Wohnzimmer schlendern sollte. Er könnte den Fernseher einschalten, dachte er, ohne dass die Kinder gleich über ihn herfallen würden, weil sie unbedingt etwas anderen sehen wollten oder weil er ihnen
bei den Schulaufgaben helfen sollte. Er könnte sich Käsetoast zum Abendessen machen, wenn er Lust darauf hatte, und den Abwasch auf morgen verschieben oder gar auf übermorgen, ohne dass Juliet ihm böse Blicke zuwerfen und dabei entnervt seufzen würde.
Aber all das schien irgendwie sinnlos, solange niemand da war, der etwas dagegen haben könnte, und er fühlte sich plötzlich erschreckend hohl, als hätte jemand sein Innerstes aus ihm herausgeschält wie das Fruchtfleisch aus einer reifen Melone. Die Knie wurden ihm weich, und er griff nach der Armlehne seines Bürosessels. Nachdem er sich vorsichtig darin niedergelassen hatte, goss er sich noch einen kräftigen Schuss Cardhu nach.
Der pure Whisky brannte ihm in der Kehle und wärmte ihn von innen, und nach ein paar Schlucken fühlte er sich schon ein wenig gestärkt. Das Haus würde nicht lange leer sein. Piers hatte ihn vorhin im Pub gewarnt und gesagt, falls Juliet die Scheidung wolle, müsse er gleich das Sorgerecht für die Kinder beantragen. Ein Hinweis auf ihre finanzielle Situation würde sicherlich ausreichen, um das Gericht davon zu überzeugen, dass er der verlässlichere Elternteil war. Caspar hatte ihm beigepflichtet und hinzugefügt, er würde schon dafür sorgen, dass ihr nicht ein Penny bliebe. Jetzt aber begann er sich zu fragen, was er mit den Kindern anfangen würde, wenn er sie zugesprochen bekäme. Juliet hatte immer alles geregelt und organisiert und ihnen alles besorgt, was sie brauchten, und für einen kurzen Moment erschrak er über seine eigene Unwissenheit.
Dann zuckte er mit den Achseln und kippte den Rest seines Drinks hinunter. Lally und Sam waren alt genug; sie würden auch klarkommen, wenn sie nicht dauernd so verhätschelt wurden. Das Wichtigste war jetzt, Juliet ihre Fehler vor Augen zu führen und sie dafür bezahlen zu lassen.
Ein aufkeimendes Gefühl der Befriedigung begann die Leere in seinem Inneren zu verdrängen. Es war gut, dass er auf Piers gehört hatte. Piers hatte Juliet als die intrigante Schlampe durchschaut, die sie war, als sie Caspar noch hinters Licht geführt hatte, und es war Piers, der ihn davor bewahrt hatte, ihr blind zu folgen, während sie ihn zum Gespött gemacht hatte.
Und es war Piers, der den Anstand besessen hatte, nicht zu tönen: »Ich hab’s dir ja gleich gesagt«, sondern lediglich mit dem Mitgefühl, wie es nur ein Mann für einen anderen aufbringen konnte, gelächelt hatte, und der ihm versprochen hatte, dass sie gemeinsam für alles eine Lösung finden würden.
22
Babcock kam gegen halb neun am nächsten Morgen im Stadtzentrum von Nantwich an. Da er die Büroräume von Newcombe & Dutton noch verschlossen fand und die Jalousien an den Fenstern heruntergelassen, schlenderte er über die Straße zum Friedhof und setzte sich auf eine Bank, von der aus er den Eingang unauffällig im Auge behalten konnte. Es war ein grauer Morgen; Reste des Nebels der vergangenen Nacht waberten noch um die Dächer und den mächtigen viereckigen Glockenturm der Kirche, und es dauerte nicht lange, bis die Kälte der Holzbank durch den Stoff von Babcocks Mantel gedrungen war. Er hatte schon darüber nachzudenken begonnen, ob es nicht ratsam wäre, sich noch ein, zwei Pfund Polster in der Region seines verlängerten Rückens anzufuttern, als ein funkelnagelneuer Landrover – das Adjektiv schien so gar nicht zu einem Landrover zu passen, fand Babcock – auf den Firmenparkplatz fuhr und Piers Dutton gemächlich vom Fahrersitz kletterte.
Babcock fand es interessant, dass es Dutton war, der als Erster eintraf und das Büro aufschloss, wo doch Caspar Newcombe nur einen Katzensprung entfernt wohnte. Aber vielleicht konnten Vermögensberater es ja in den Weihnachtsferien ein bisschen ruhiger angehen lassen – im Gegensatz zu Polizeibeamten. Es passte ihm jedenfalls ganz gut in den Kram, da er Dutton ohnehin zuerst unter vier Augen befragen wollte.
Er ließ Dutton ein paar Minuten Zeit, um nicht den Eindruck zu erwecken, er habe ihm aufgelauert. Schließlich wollte
er, dass der Mann entspannt war – jedenfalls zu Beginn des Gesprächs.
Während er wartete, ließ er seine steifgefrorenen Fingergelenke knacken und ging im Geist noch mal sein Gespräch mit Duncan
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