So will ich schweigen
abgekommen war.
»Ich habe Annie Constantine schon gekannt, als sie noch beim Jugendamt arbeitete. Nicht gut, aber gut genug, um sie als kompetent und professionell einschätzen zu können, und wir verstanden uns recht gut. Der letzte Fall, bei dem ich mit ihr zu tun hatte, war allerdings ein ganz übler – das Kind, das von seinem Pflegevater umgebracht wurde. Sie erinnern sich doch?
Ich merkte, dass Constantine die Sache sehr schwer nahm, dass sie vielleicht sogar unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt, und so hat es mich nicht allzu sehr überrascht, als ich einige Monate später erfuhr, dass sie vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden sei. Danach habe ich nie wieder etwas von ihr oder über sie gehört, bis vor zwei Tagen – da stand sie plötzlich vor meiner Tür, als ich gerade ins Krankenhaus fahren wollte.
Wie sie meine Adresse rausbekommen hat, ist mir ein Rätsel – vielleicht hatte sie ja ähnlich gute Beziehungen wie Sie, Chief Inspector.« Zum ersten Mal hörte er eine Andeutung ihres trockenen Humors.
»Sie schien ganz außer sich«, fuhr die Rechtsmedizinerin fort, »und ließ sich partout nicht abwimmeln, und so habe ich mich schließlich bereit erklärt, sie anzuhören. Sie sagte, sie brauche Hilfe. Eine ihrer früheren Klientinnen sei ernstlich krank, weigere sich aber, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann erzählte sie mir, was mit Rowan Wain und ihrer Familie passiert war.
Nun, ich kannte den Arzt, der bei Rowan die Diagnose Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom gestellt hatte. Ein selbstsüchtiger kleiner Scheißkerl, der grundsätzlich die
Schuld bei anderen sucht, wenn er bei einem Fall mit seinem Latein am Ende ist.«
Babcock, der aus dem Mund der Pathologin noch nie ein derbes Wort gehört hatte, war leicht schockiert.
»Es war nicht das erste Mal, dass er sich dieser Diagnose bedient hatte«, sagte sie mit Zorn in der Stimme, »und die anderen Elternpaare waren vielleicht genauso unschuldig, aber sie hatten keine Annie Constantine, die sich für sie einsetzte. Diese Leute haben ihre Kinder verloren.
Aber je mehr Zeit Constantine mit den Wains verbrachte, desto fester war sie davon überzeugt, dass der Junge, Joseph, tatsächlich unter lebensbedrohlichen Anfällen gelitten hatte und dass die Eltern sich nur aus schierer Verzweiflung dem etablierten Gesundheitssystem anvertraut hatten.
Offenbar hatte sie es zu ihrer persönlichen Mission gemacht, ihre Unschuld zu beweisen.« Elsworthy hielt inne, und Babcock glaubte sehen zu können, wie sie die Stirn runzelte, wie sie es bei einer Obduktion zu tun pflegte, wenn sie etwas entdeckte, was ihr nicht gefiel. »Ich glaube, sie brauchte eine solche Aufgabe«, fuhr sie zögernd fort. »Das ermordete Pflegekind war in ihrer Obhut gewesen, und als die leiblichen Eltern nach ihren Besuchen von ihrem Verdacht berichteten, dass ihr Kind misshandelt wurde, hatte sie ihre Behauptungen als durchsichtigen Versuch abgetan, ihr Kind zurückzubekommen. Sie waren schließlich drogenabhängig und daher nicht besonders glaubwürdig.«
Babcock hatte den Fall selbst bearbeitet, und er erinnerte sich nur allzu gut daran. Die leiblichen Eltern hatten ihren Zorn auf sämtliche Beteiligten ausgeschüttet, einen Zorn, der durch die Tatsache, dass sie selbst nicht genug für ihr Kind da gewesen waren, nur noch mehr geschürt wurde. Kein Wunder, dass Annie das Bedürfnis nach Buße verspürt hatte.
»Ihre Entschlossenheit zahlte sich aus«, fuhr Elsworthy fort.
»Es gelang ihr schließlich, die Aussagen der Eltern zu belegen, sowohl durch Zeugen, die Josephs Anfälle miterlebt hatten, als auch durch Krankenhausunterlagen, die der Arzt, der den Verdacht auf Misshandlung gemeldet hatte, irgendwie übersehen hatte. Sie erreichte, dass die Ermittlungen eingestellt wurden.«
»Und wie hängt das nun alles mit den Ereignissen der letzten Tage zusammen?«, fragte Babcock.
»Zufall«, sagte Elsworthy. »Es war reiner Zufall, dass sie an Heiligabend an der Middlewich Junction mit ihrem Boot an dem der Wains vorbeifuhr. Eigentlich erstaunlich, dass sie ihnen nicht schon früher begegnet war – die Kanäle sind ja eine kleine Welt für sich.
Sie sprach sie an, und während sie den Eindruck hatte, dass es den Kindern gut ging, fand sie, dass Rowan sehr krank aussah. Je länger sie darüber nachdachte, desto besorgter wurde sie. Also suchte sie die Wains auf, und dabei kam es zu dem Streit mit Gabriel. Schließlich erlaubte er ihr aber doch, Rowan
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