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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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er, dass Lally mit Gemma zurückgeblieben war. Er wollte dem Mädchen nahe sein, wollte mit ihr sprechen, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Doch als er mit Sam und Toby voranging und durch den frisch gefallenen Schnee stapfte, vergaß er allmählich seine Probleme. Zum ersten Mal, seit sie angekommen waren, war er in der Lage, einfach nur den Augenblick zu genießen.
    In der Ferne, am Fuß des leicht abfallenden Feldes, zeichnete sich dunkel und schemenhaft ein kleines Wäldchen ab,
und auf halber Strecke dazwischen erblickte er zwei zottige Silhouetten. Das mussten die Ponys sein – ein dunkles und ein weißes. Jack war vorausgerannt und tollte schon wild kläffend um die Pferde herum. Die weißen Stellen seines Fells wurden vom Schnee verschluckt, sodass es schien, als führten die umherhüpfenden schwarzen Flecken ein Eigenleben. Kit blieb einen Moment lang stehen und sah dem Hund zu, und er spürte belebende Kälte in seinen Lungen, wenn er einatmete. Der Schnee und die frische, würzige Nachtluft waren herrlich, London und die Schule schienen Galaxien entfernt, und die Weihnachtsferien waren mit einem Mal voller Verheißung.
     
    Kincaid ergriff die ausgestreckte Hand, und als er dem Mann in die Augen sah, dämmerte es ihm endlich: »Mensch, wenn das nicht Ronnie Babcock ist!«
    »Für dich immer noch Chief Inspector Babcock, altes Haus«, flachste Babcock, doch in seiner Stimme schwang der selbstironische Unterton, den Kincaid noch aus ihrer Schulzeit kannte. Er hatte Babcock nicht mehr gesehen, seit er vor zwanzig Jahren von Cheshire nach London umgezogen war, und das Letzte, was er von ihm gehört hatte, war, dass er einer glänzenden Karriere als Profifußballer entgegensehe.
    »Ich fress’nen Besen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du bei der Truppe bist, Ronnie. Was ist denn aus dem …«
    »Das Knie«, fiel ihm Babcock schroff ins Wort. »Ich hab mir damals gedacht, such dir besser was Solides, was nicht so auf die Gesundheit geht – tja, so kann man sich täuschen«, meinte er mit einem Achselzucken und einem schiefen Blick auf die verschneiten Stallgebäude. Die Geste erinnerte Kincaid daran, wie Babcocks rauer Charme immer wieder unvermutet aufblitzen konnte.
    Er hatte ihn nie wirklich gut gekannt. Es war eine seltsame Freundschaft, die sie verbunden hatte, und sie war durch einen
Zufall zustande gekommen. Babcock war ein zäher Bursche gewesen, ein selbstbewusstes Kind der Arbeiterschicht, und normalerweise hätte es kaum Berührungspunkte zwischen seinem Freundeskreis und dem Kincaids gegeben. Aber Kincaid hatte mehr als einmal beobachtet, wie er sich für Mitschüler eingesetzt hatte, die von Stärkeren tyrannisiert wurden. Babcock konnte durchaus freundlich und hilfsbereit sein, wenngleich auf eine schroffe und etwas unbeholfene Weise, und jedes Mal zog er sich gleich wieder hinter seine Maske aus Spott und Ironie zurück.
    Und dann war Kincaid eines Tages in die Buchhandlung seiner Eltern gekommen und hatte Ronnie Babcock an der Kasse stehen sehen. Offenbar hatte er gerade bei einem der Angestellten etwas gekauft, und der verstohlene Blick, den er Kincaid zuwarf, weckte dessen Neugier. Er trat rasch näher und konnte gerade noch sehen, was der andere Junge gekauft hatte, bevor das Buch in der Tüte verschwand. Es war nicht etwa, wie er vermutet hatte, irgendetwas Anzügliches, sondern vielmehr eine zerfledderte antiquarische Ausgabe von James Hiltons Lost Horizon – Der verlorene Horizont .
    Kincaid hatte gerade den Mund aufgemacht, um Babcock wegen seines ausgefallenen Lesegeschmacks zu hänseln, als irgendetwas in der Miene des Jungen ihn innehalten ließ. Nachdem Babcock seine Münzen abgezählt und die Tüte mit dem Buch in die Jackentasche gesteckt hatte, trat er ein paar Schritte von der Kasse zurück und sagte leise zu Kincaid: »Du verrätst meinen Kumpels in der Schule doch nichts davon, ja?«
    »Aber …«
    »Weil das voll das Weiberbuch ist, verstehst du?«, hatte Babcock mit flehendem Blick hinzugefügt. »Das würde für alle Zeiten an mir hängen bleiben.«
    Kincaid hatte verstanden. Er war schließlich mit dem »Makel« des Berufs seiner Eltern aufgewachsen. Er hatte erlebt, was
es bedeutete, als Außenseiter gebrandmarkt zu werden, nur weil er es sich nicht immer hatte verkneifen können, sein Wissen zum Besten zu geben. Schnell hatte er seinen Ruf als Streber und Bücherwurm weggehabt, und er war ihn nicht mehr losgeworden, sosehr er im Sport glänzen und auf dem

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