So will ich schweigen
brachte sie die Zentralheizung in Gang, wobei sie einen stillen Dank an den Generator sandte, dann beschickte sie den Holzofen. Erst nachdem sie so sichergestellt hatte, dass die
Temperatur im Boot irgendwann über ein arktisches Niveau steigen würde, schaltete sie den Wasserkocher ein und mahlte die Kaffeebohnen.
Frischer Kaffee aus der Stabfilterkanne gehörte zu den wenigen kleinen Genüssen, die sie sich gönnte. Auch wenn sie vor kurzem irgendwo gelesen hatte, der so bereitete Kaffee sei ungesünder als der aus der Kaffeemaschine oder der Espressokanne, liebte sie nun einmal sein kräftiges Aroma und seine cremige Konsistenz. Sie trank ihn ohne Zucker, aber sie hatte immer eine kleine Tüte Sahne im Kühlschrank – wenn sie irgendwo welche bekommen konnte. Das Sortiment in den Läden der Bootshäfen war nicht überwältigend, und in kaum einer Stadt entlang des Kanalsystems waren die Geschäfte von den Liegeplätzen aus so bequem zu erreichen wie in Nantwich.
Mit ihrem Kaffeebecher in der Hand öffnete sie die Kabinentür und trat aufs Deck hinaus. Der Schnee auf dem Leinpfad und auf den Decks und Dächern der leerstehenden Boote glitzerte in der Sonne. Es hatte aufgeklart, doch es war immer noch kalt. Der Hafen wirkte seltsam öde und menschenleer, selbst für diese Jahreszeit. Aus keinem anderen Schornstein stieg Rauch auf, und auf dem Leinpfad regte sich nichts.
Diejenigen, die ihr Kanalboot nur als Zweitwohnung nutzten, verbrachten Weihnachten natürlich in ihren Häusern, und selbst die Aussteiger, für die der Kanal ihr Zuhause war, hatten irgendjemanden, den sie an den Feiertagen besuchen konnten.
Dabei war es ja nicht so, als hätte es ihr an Einladungen gemangelt, dachte sie, als der Abgrund des Selbstmitleids sich vor ihr auftat. Roger hatte sie gefragt, ob sie zu ihm kommen wolle, wie er es jedes Jahr tat, und sie hatte abgelehnt – wie jedes Jahr. Was würde er wohl tun, dachte sie mit einer Art bitterer Belustigung, wenn sie es sich doch noch anders überlegte?
Er war nach der Trennung in ihrem gemeinsamen Haus geblieben.
Damals war es ihr als die vernünftigste Lösung erschienen, da sie es weder verkaufen noch leerstehen lassen wollte. Er zahlte ihr eine geringe Miete, und sie hatte ihn wissen lassen, dass sie ihm im Fall einer Scheidung das Vorkaufsrecht einräumen würde. Sie mochte nicht glauben, dass es nur sein Eigeninteresse war, das Roger davon abgehalten hatte, ihre Ehe aufzulösen; dabei wusste sie, dass er – realistisch gesehen – kaum je in der Lage sein würde, ihr einen angemessenen Preis für das Haus zu zahlen.
Und sie konnte sich auch nicht vormachen, dass er sie furchtbar vermisste. Roger war ein ausgeglichener Mensch, der radikale Veränderungen ebenso sehr hasste, wie er Bequemlichkeit und leibliche Genüsse liebte – sie hatte es nie einfach gefunden, mit ihm zu leben. Trotzdem konnte er sehr aufmerksam sein, wenn ihm gerade danach war – und nun fiel ihr ein, dass er ihr ein Weihnachtsgeschenk geschickt hatte.
Rasch schlüpfte sie zurück in die Kabine, nahm das Paket aus der Schublade, in die sie es gesteckt hatte, und ging damit hinaus an die Sonne. Es war fein säuberlich in handbedrucktes Papier eingeschlagen, und sie war sich ziemlich sicher, dass Roger es selbst verpackt hatte. Er besaß Sachverstand, war gründlich und hatte eine künstlerische Ader, alles Eigenschaften, die ihn zu einem guten Journalisten machten – und ein guter Ehemann war er auch. Sie war es gewesen, die sich nicht in ihre Rolle als Ehefrau hatte fügen können.
Vorsichtig löste sie den Klebstreifen von den Enden des Pakets und zog das Papier ab, ohne es zu zerreißen. »Oh!«, rief sie laut, als ihr das Geschenk in die Hand glitt. Dass es ein Buch war, überraschte sie nicht – das hatte sie aus der Form und dem Gewicht des Pakets schon erraten können -, aber damit hätte sie nie gerechnet. Ein Blick auf das Titelblatt verriet ihr, dass es sich um eine Erstausgabe von Tom Rolts Narrow Boats handelte, gedruckt 1944. Das Buch, eine Schilderung von Rolts
Erkundungen des Kanalnetzes mit seinem renovierten Narrowboat Cressy, war einer der Klassiker der Bootsliteratur, und Rolt selbst hatte zu den Gründern der Inland Waterways Association gehört.
Annie besaß natürlich eine moderne Ausgabe, die sie mehr als einmal gelesen hatte, fasziniert von der lyrischen Prosa und den packenden Schilderungen des Lebens auf dem Kanal in den alten Tagen, doch sie hatte noch nie eine
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