So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
wird allein in ihrem Wohnzimmer sitzen, durch die Gitterstäbe in die Nacht hinausschauen, auf die Lichter von Flugzeugen, die in den Himmel aufsteigen, und sie wird einen Sog spüren, wovon, kann sie nicht sagen, nein, nicht genau, nur dass er sie mit sanfter Endgültigkeit zieht und dass er von der Stadt ihrer Geburt ausgeht.
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KONZENTRIER DICH AUFS WESENTLICHE
Vermutlich sollte ich mich an dieser Stelle zu einer Vorspiegelung gewisser falscher Tatsachen bekennen, gewissen Täuschungen, die hier begangen worden sein könnten, gewissen Tricks eines, äh, Taschenspielers. Aber das mache ich nicht. Noch nicht. Auch wenn dir der Stinkreichtum zugegebenermaßen entglitten ist, wahrt dieses Buch doch noch eine Weile seine Unschuld oder wenigstens die Nicht-Justiziabilität seiner Schuld und bietet weiterhin mittels wirtschaftlichen Rats zwei Selbsten Hilfe an, das eine deins, das andere meins.
Wie der Zufall es will, bleibt dieser Rat vom Verlust deines Reichtums unberührt, da er auch für Menschen mit bescheidenen Mitteln gilt. Und der Rat ist folgender: Konzentrier dich aufs Wesentliche. Puste den Staub weg, sieh die Bäume und den Wald dazu, setz in dem, was den Kern deiner Unternehmung ausmacht, Prioritäten. In deinem Fall bedeutet das jetzt eine drastische Kostenreduzierung.
Die hast du hervorragend bewerkstelligt. In dem Zweisternehotel, das dein Wohnsitz ist, hast du einen langfristigen Zimmerpreis bei monatlicher Kündigung für weniger als die Hälfte des Normalpreises ausgehandelt, wobei du deine Bereitschaft, bar zu zahlen, sowie die Tatsache, dass du dem inzwischen verstorbenen Vater des Geschäftsführers einmal eine Stelle verschafft hast – er hat von dir mit unsterblicher, natürlich nicht auf den Mann, sondern auf das Gefühl bezogener Verehrung gesprochen –, weidlich ausgenutzt hast. Auch isst du maßvoll, und dein Stoffwechsel hat sich so sehr verlangsamt, dass du mit nur einer Mahlzeit am Tag auskommst, du knauserst bei den Beförderungsmitteln, fährst mit dem Taxi, statt dir den Besitz und Betrieb eines Wagens zu leisten, und du belastest dich nicht mit happigen Telefonrechnungen, indem du deine wöchentlichen Gespräche mit deinem Sohn in einem Internetcafé führst. So bleibt das Gros deiner begrenzten Mittel unangetastet und steht für Arztbesuche, Untersuchungen und Medikamente zur Verfügung, daher erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass du dich bei dem Wettlauf von Tod und Mittellosigkeit auf den Sieg des Ersteren freuen kannst.
Die einzige Schwäche, die du dir gönnst, sind Tee und Kekse, mit denen du deine Bittsteller regelmäßig in der beengten Lobby des Hotels bewirtest. Das Gebäude selbst ist vielleicht zehn Jahre alt, ebenso gut könnten es aber auch dreißig sein, eingezwängt zwischen zwei anderen Bauten von ähnlicher, vierstöckiger Höhe, unterernährter Breite und unbestimmbarem Baujahr, an einer vormaligen Zufahrt zu einem stillen Markt gelegen, nun aber innerhalb der unablässig sich erweiternden Grenzen eines belebten und amorph amöbenförmigen Geschäftsviertels. In der Nähe werden Tiere geschlachtet, Kuchen gebacken, HiFi-Lautsprecher-Crossover frisiert, gefälschte Importzigaretten vertrieben und explosionssichere Fensterfolien verkauft, Letztere mit dem Versprechen kostenlosen Aufklebens, ein nicht unbedeutender Pluspunkt, bedenkt man, dass es eines präzisen und arbeitsintensiven Abziehens bedarf, um unansehnliche Luftblasen auszutreiben.
Die Leute aus deinem Clan, die dich aufsuchen, sind häufig, aber nicht immer frisch aus ihren Dörfern angekommen, un- oder angelernte Männer auf der Suche nach Arbeit auf dem Bau, bei Beförderungsmitteln oder als Hausdiener, und so sehen sie sich in den abgewetzten öffentlichen Räumen deines Hotels ehrfürchtig um, nehmen die mechanische Tür, die Stahltasten des nicht fahrenden Fahrstuhls und die Feinheit der Teetassen und Untertassen als Bestätigung dafür, dass du, wie man ihnen gesagt hat, ein wichtiger Mann bist, ein Eindruck, der von dem edlen Schnitt deiner Kleidung und der distinguierten Haltung, die du dir trotz deines Alters und aller Rückschläge weitgehend bewahren konntest, noch bestätigt wird. Du hilfst ihnen, wie du kannst, erledigst Anrufe, legst ein gutes Wort ein und beantwortest ihre vielen Fragen aufs Genaueste.
Aber nicht alle deine Bittsteller sind junge Burschen vom Land. Manche sind auch Stadtjungen der ersten Generation, wie du einmal einer warst, oder auch der zweiten, mit flotten
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