So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
er entschuldigend.
»Ja, lass dich nicht aufhalten.«
»Wann gehst du das nächste Mal zum Arzt?«
»Heute.«
»Schick mir bitte eine SMS, wie es war.«
Du versprichst es. Aus dem klebrigen Kopfhörer auf deinen Ohren kommt ein Unterwasserplopp, dann verschwindet das Bild deines Sohnes, als würde es in ein Loch von der Größe eines einzelnen Pixels in der Mitte deines Bildschirms gesogen. War gerade noch Helligkeit und Bewegung da, herrscht jetzt nur noch Stille bis auf die Zeit- und Geldzähler, die in einer Ecke weiterklicken. Du begleichst deine Rechnung und gehst.
Im selben Moment schaut auch das hübsche Mädchen auf einen Computer, begutachtet mit der Assistentin die monatlichen Verkaufszahlen, die sich düster lesen. Auch sie wird heute Abend in eine Klinik fahren, was sie da natürlich noch nicht weiß.
»Das gibt einen ziemlichen Absturz«, sagt sie. »Ich hoffe, du bist bereit für den Aufprall.«
»Mehr als bereit«, sagt ihre Assistentin.
Sie überlegt. »Sieht aus, als hätten wir keine Wahl.«
»Mhm.«
»Gut. Stornier die Einkaufstour fürs Frühjahr.«
Beide schweigen.
»Es gibt ja noch den Herbst«, sagt die Assistentin.
Das hübsche Mädchen lächelt. »Ja. Den gibt’s immer.«
Sie verlässt ihr Möbelgeschäft um die übliche Zeit, fünf Uhr, ihr Fahrer beeilt sich, der Rushhour zuvorzukommen, wobei er mit aufgerissenen Straßen zu kämpfen hat. Das hübsche Mädchen schaut aus dem Fenster auf wiederkehrende Reihen schmaler Gruben. Da werden Kabel verlegt, anscheinend überall, rätselhafte Kabel, schwarz, grau oder orange ummantelt, endlos wickeln sie sich von Spulen in das warme, sandige Erdreich ab. Sie überlegt, was die wohl verbinden.
Es gehört zu den Aufgaben ihrer Assistentin, am Abend das Geschäft abzuschließen, und das hat sie auch getan und schaut nun der Geschäftsführerin dabei zu, wie sie die Tageseinnahmen zählt, um sie darauf über Nacht im Safe zu deponieren, als ein Backstein, unter dem halb heruntergelassenen Stahlgitter hindurchgeworfen, die gläserne Ladentür zertrümmert. Die Assistentin des hübschen Mädchens hört dies in einem kleinen hinteren Büro und sieht im körnigen Schwarzweiß des Überwachungsbildschirms drei Männer eintreten, die Gesichter teilweise verdeckt. Instinktiv löst sie einen stummen Alarm aus, schließt das Geld weg und dreht das Kombinationsrad, alles zum Entsetzen der Geschäftsführerin, die nun fürchtet, aus dieser Lage nicht mehr lebend herauszukommen.
Die bewaffneten Männer scheinen zu wissen, dass Alarm ausgelöst wurde, und vielleicht schickt ihr Anführer sich deshalb an, der Geschäftsführerin wortlos in die Stirn zu schießen. Aber er überlegt es sich anders und sagt der Assistentin des hübschen Mädchens, sie solle den Safe öffnen. Als sie, eher aus Verwirrung als aus Tapferkeit, zögert, schlägt er ihr mit dem Kolben seines Gewehrs gegen die Schläfe, angesichts ihres Alters und Geschlechts nicht zu kräftig, aber doch so fest, dass sie davon zu Boden geht. Sie steht auf und gehorcht. Die bewaffneten Männer stecken das Geld ein. Alles in allem dauert der Überfall nicht länger als drei Minuten. Private Wachmänner treffen in neun, das hübsche Mädchen in zweiundzwanzig und die Polizei in achtunddreißig ein.
Zur Vorsicht bringt das hübsche Mädchen ihre Assistentin wegen des Schlags, den sie erhalten hat, in eine Notaufnahme. Im Wagen nimmt sie die Hände der Assistentin, hält sanft deren Finger, die weniger alte Frau ist wie betäubt und starrt geradeaus, sagt meistens nichts. Eine gehetzte Krankenschwester schaut sich die Assistentin des hübschen Mädchens an, sagt, es sei eine Prellung, weiter nichts, schlägt einen Eisbeutel und Analgetika vor und schickt sie wieder weg. Auf der Heimfahrt klagt die Assistentin über Schwindelgefühle und Übelkeit. Das hübsche Mädchen bringt sie in die Klinik zurück, unterwegs bekommt die Assistentin Krämpfe und verliert das Bewusstsein, und als die Ärztin ihr die Augenlider hochzieht und mit einer Taschenlampe in die Pupillen leuchtet, ist sie schon nicht mehr zu retten und bald tot.
An diesem Abend endet die vierzigjährige Affäre des hübschen Mädchens mit ihrer adoptierten Metropole, auch wenn sie sie noch nicht gleich verlässt. Es vergeht Zeit, bis die Entscheidung in ihr reift. Auch muss sie das Geschäft verkaufen und bestimmte praktische Dinge zum Abschluss bringen. Aber etwas hat sich verändert, und ihre Richtung steht nicht in Zweifel. Sie
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