Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamid
Vom Netzwerk:
sich, in den unbelüfteten, infernalisch heißen Bedingungen schwitzend, hinter den Maler, während der, die Pistole in der Hand, Hunderte gerader Striche über das Holz der Regale ausführte, ganz wie ein Roboter am Fließband in einem Montagewerk, jedoch mit leicht geringerer Präzision und erheblich mehr Flüchen, und alle paar Minuten sauste dein Bruder auf gegrunzte Befehle hin los, eine Lache aufzuwischen, die Leiter weiterzurücken, Wasser zu holen, Brot zu holen oder offene Kabel mit Isolierband zu umwickeln.
    Die Arbeit deines Bruders ist in gewisser Hinsicht wie die eines Astronauten oder, ein Tick prosaischer, eines Sporttauchers. Auch bei ihm zischt Luft, auch er empfindet Schwerelosigkeit, plötzlichen Druckkopfschmerz und Übelkeit, die Bedenklichkeit, die aus der Verkoppelung eines organischen Wesens mit einer Maschine entsteht. Allerdings sieht ein Astronaut oder ein Aquanaut unvorstellbare neue Welten, dein Bruder dagegen nur einen einfarbigen Dunst von unterschiedlicher Dichte.
    Seine Tätigkeit erfordert Geduld und die Kraft, einem beständigen schwachen Panikgefühl zu widerstehen, und beides hat dein Bruder sich notgedrungen angeeignet. Theoretisch erfordert sie auch Schutz in Form von Brillen und Atemmasken, aber die sind offensichtlich nur optional, denn dein Bruder und sein Meister haben sie nicht, sondern tragen stattdessen nur dünne Baumwolllappen über Mund und Nase. Daher auf kurze Sicht der Husten deines Bruders. Auf lange Sicht können die Folgen schwerer sein. Aber ein Malergehilfe bekommt Lohn, die Fertigkeiten, die er lernt, sind wertvoll, und auf hinreichend lange Sicht gibt es, wie jeder weiß, ohnehin nichts, was nicht den Tod zur Folge hat.
    Wenn deine Mutter abends das Essen kocht, einen Linseneintopf, eingedickt mit Zwiebelstücken, nicht weil Zwiebeln ihre Lieblingszutat sind, sondern weil sie einer Mahlzeit offenbar Substanz verleihen und sie heute auf dem Markt billig waren, hat es vielleicht nicht den Anschein, als wärst du ein glückliches Kind. Schließlich sind die Schmerzen an deinem verletzten Ohr ersichtlicher als der Ausdruck im Blick deiner Schwester oder die Farbreste auf der Haut deines Bruders. Dennoch hast du Glück. Das Glück des Drittgeborenen.
    Sich Bildung zu verschaffen ist ein fliegender Start, um stinkreich zu werden im boomenden Asien. Das ist kein Geheimnis. Aber wie viele erstrebenswerte Dinge ist sie nicht leicht zu erlangen, nur weil sie allseits bekannt ist. Die Straße zum Reichtum hält Gabelungen bereit, die nichts mit Wahl, Wunsch oder harter Arbeit zu tun haben, Gabelungen, die mit Zufall zu tun haben, und in deinem Fall ist einer davon der Zeitpunkt deiner Geburt. Als Dritter kehrt man nicht ins Dorf zurück. Als Dritter arbeitet man nicht als Malergehilfe. Als Dritter ist man nicht wie das vierte von drei verbliebenen Geschwistern ein winziges Skelett in einem kleinen Grab am Fuß eines Baumes.
    Dein Vater kommt nach Hause, als ihr gerade fertig gegessen habt. Er isst mit den anderen Angestellten in dem Haus, in dem er kocht. Ihr alle drängt euch um den Familienfernseher, ein Zeichen eures städtischen Wohlstands. Er bekommt seinen Strom über ein Kabel aus gemeinschaftlich gestohlener Elektrizität, das vorn an eurem Haus hinabläuft. Es ist ein altertümliches Gerät, schwarz-weiß, Kathodenstrahlröhre, mit einem extrem gewölbten Bildschirm, der ärgerliche Schrammen aufweist. Der Fernseher ist schmaler als die Entfernung zwischen deinem Handgelenk und deinem Ellbogen. Und er empfängt nur die wenigen Kanäle, die terrestrisch ausgestrahlt werden. Doch er funktioniert, und deine Familie sieht im Zustand gedämpfter Verzückung die Musiksendung, die er in euer Zimmer bringt.
    Als die Sendung zu Ende ist, rollt der Abspann ab. Deine Mutter sieht einen sinnlosen Hieroglyphenstrom. Dein Vater und deine Schwester erkennen gelegentlich eine Zahl, dein Bruder das und gelegentlich ein Wort. Allein für dich ergibt dieser Teil der Sendung einen Sinn. Du verstehst, dass er enthüllt, wer wofür verantwortlich ist.
    Der Strom für euer Viertel bricht zur vollen Stunde ab und damit auch das Licht von eurer einzigen, nackten Glühbirne. Eine Kerze brennt, während ihr euch alle bettfertig macht, dann wird sie von deiner Mutter mit einem Fingerdruck gelöscht. Im Zimmer ist es nun düster, aber nicht dunkel, das Leuchten der Stadt kriecht durch die Läden, und still, aber nicht stumm. Du hörst, wie ein Zug auf den Gleisen die Fahrt verlangsamt. Du

Weitere Kostenlose Bücher