So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
schläfst meistens tief, und obwohl du eine Pritsche teilst, stört dich der Husten deines Bruders in der Nacht kein einziges Mal.
3
VERLIEB DICH NICHT
Viele Selbsthilfebücher geben dir Ratschläge, wie du dich verlieben oder, noch wichtiger, wie du das Objekt deiner Begierde dazu bringen sollst, sich in dich zu verlieben. Das vorliegende, um das absolut klarzustellen, ist keines davon. Denn was das Reichwerden betrifft, kann die Liebe ein Hemmnis sein. Ja, das Streben nach Liebe und das Streben nach Reichtum haben viel gemeinsam. Beide haben das Potenzial zu inspirieren, zu motivieren, zu stimulieren und zu töten. Doch während die Erlangung eines massiven Kontostands nachweislich schöne Prachtkörper anzieht, die dafür unbedingt ihre Liebe geben wollen, bewirkt die Erlangung von Liebe eher das Gegenteil. Die Liebe erstickt das Feuer unterm Dampfkessel des Ehrgeizes und beraubt damit eine ohnehin schon befrachtete Fahrt stromaufwärts ins Herz des finanziellen Erfolgs ihres wesentlichen Antriebs.
Daher ist es beunruhigend, dass du dich im ausgehenden Mittel deiner Teenagerzeit in ein hübsches Mädchen verknallt hast. Ihr Aussehen würde traditionell nicht als schön gelten. Sie hat keinen milchigen Teint, keine rabenschwarzen Locken, keinen üppigen Busen, kein weiches, mondgleiches Gesicht. Ihre Haut ist überdurchschnittlich dunkel, Haare und Augen heller, was allen drei einen auffallend ähnlichen Braunton verleiht. Das gibt ihr etwas Rauchiges, als wäre sie mit Kohle gezeichnet worden. Auch ist sie schmal, groß und flachbrüstig, ihr Busen, wie deine Mutter abschätzig anmerkt, von der Größe zweier billiger kleiner gequetschter Mangos.
»Ein Junge, der so was ficken will«, sagt deine Mutter, »will doch bloß einen anderen Jungen ficken.«
Mag sein. Aber du bist nicht der einzige Verehrer des hübschen Mädchens. Tatsächlich drehen sich massenhaft Jungen nach ihr um, wenn sie vorbeigeht, denn ihr beschwingter Gang fällt in eurem Viertel auf wie ein Bikini in einer Betschule. Vielleicht ist das ja generationsbedingt. Jungen wie du sind, anders als eure Väter, in der Stadt aufgewachsen, sie werden aus dem Fernsehen und auf Reklametafeln mit Bildern bombardiert. Hier ist übermäßige Fruchtbarkeit eine Bürde, kein Bonus, wie sie es historisch bedingt auf dem Land war, wo die Nahrung überwiegend selbst gezogen und nicht gekauft wurde und wo auch ein ungelerntes Paar Hände Arbeit finden konnte, wenngleich diese Zeit auch dort zu Ende geht.
Warum auch immer, das hübsche Mädchen ist Gegenstand vieler Begehren, Qualen und masturbatorischer Aktivitäten. Und sie scheint auch ihrerseits ein gewisses leichtes Interesse an dir zu haben. Du warst schon immer ein kräftiger Bursche, aber momentan bist du beeindruckend fit. Das ist teils die Folge eines täglichen Trainingsplans mit Liegestützen – die Füße auf der Pritsche –, Klimmzügen – an der Treppe hängend –, Bauchpressen – mit Backsteingewichten in der Hand – und Rückenstreckungen, die dir der ehemalige Wettkampf-Bodybuilder und heutige Auftragskiller mittleren Alters von nebenan beigebracht hat. Und teils ist es die Folge deines Nachtjobs als DVD-Bote.
Hinter deinem Viertel liegt ein Streifen Fabriken und dahinter wiederum ein Markt am Rand eines wohlhabenderen Teils der Stadt. Der Markt ist auf einem Kreisverkehr errichtet, und unter seinen Läden ist auch ein Videogeschäft, dunkel, nur matt erhellt, kaum groß genug, um drei Kunden gleichzeitig aufzunehmen. Zwei Wände sind vollständig mit Filmplakaten bedeckt, eine dritte von einem einzelnen, mäßig mit DVDs bestückten Regal verdeckt. Alle werden für den gleichen niedrigen Preis verkauft, gerade mal das Doppelte des Verkaufspreises einer leeren DVD. Es versteht sich von selbst, dass es Raubkopien sind.
Wegen des zersplitterten Verbrauchergeschmacks hat der Besitzer immer nur rund hundert Bestseller vorrätig. Doch in Anerkenntnis der beträchtlichen Gesamtnachfrage für Filme, die sich jeweils nur ein-, zweimal pro Jahr verkaufen, hat er sich im Hinterzimmer eine zweckbestimmte superschnelle Internetverbindung, einen DVD-Brenner sowie einen Farbdrucker in Fotoqualität eingerichtet. Der Kunde kann dort praktisch jeden Film verlangen, und noch am selben Tag erhält er ihn geliefert.
Und hier kommst du ins Spiel. Der Besitzer hat sein Liefergebiet in zwei Zonen eingeteilt. Für die erste Zone, die per Fahrrad in maximal einer Viertelstunde zustellbar ist, hat er
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