Social Netlove
räusperte sich geräuschvoll und warf mir einen strengen Blick zu. »Du hast längst Pause, Marie. Wenn du noch was essen willst, solltest du das jetzt tun. Um Punkt zwölf Uhr fünfundvierzig will ich meinen Spaziergang machen, und dann hast du wieder am Platz zu sein und das Telefon anzunehmen.«
Ungläubig sah ich auf die Uhr – es war tatsächlich bereits fast halb eins.
Mist
. Ich hatte über eine Stunde mit meiner
Recherche
nach B.Touched und Jamie verbracht.
»Klar, ich gehe sofort los. Entschuldige bitte«, antwortete ich hektisch. Mit von schlechtem Gewissen geröteten Wangen sperrte ich eilig meinen PC, bevor ich nur mit meinem Portemonnaie, meinem Handy und einem Mantel bewaffnet hinaus in die Freiheit stürmte, um mir beim Bäcker an der Ecke mein Mittagessen zu besorgen.
***
Wider Erwarten bekam ich nach dem Essen noch eine Menge zu tun: Katja bat mich mit Unschuldsmiene um meine Hilfe in ihrem Sachgebiet und weil mir das schlechte Gewissen über meine Trödelei keine Ruhe ließ, gab ich nach.
Katjas Sachgebiet beinhaltete einen regional bekannten Geflügelzüchter, der nach einem Medikamentenskandal in seinem Betrieb vor drei Monaten über unsere Partneragentur einige Image-Kampagnen geschaltet hatte und dessen redaktionelle Nachwehen wir nun einfangen sollten. Daher starrte mich von jedem zweiten Ausschnitt eine hypnotisiert wirkende Henne an, über der eine semi-vorwurfsvolle Überschrift prangte. Offenbar war die Kampagne also nach hinten losgegangen. Als Ausschnittsdienst konnte uns das glücklicherweise egal sein, denn wir wurden nach Anzahl der Clippings bezahlt, ganz egal, ob der Auftraggeber darin lobend oder tadelnd erwähnt wurde.
Die nächsten drei Stunden verbrachte ich damit, mich durch die Hühneraffäre und diverse andere Kleinstadtskandale zu quälen. Dabei ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich darüber nachdachte, was ich Jamie in einer Nachricht zu sagen hätte. Natürlich nur rein hypothetisch.
Würde ich ihm schreiben, dass er meine erste große Liebe gewesen war?
Nein
.
Und am besten sollte ich ihn auch nicht fragen, ob er die Liebesbriefe bekommen hatte, die ich mit dreizehn an ihn abgeschickt hatte.
Argh
. Weshalb war ich nur so peinlich gewesen?
Natürlich machte Katja vor mir Feierabend. Meine Kollegin ließ im Härtefall auch schon mal in der Bewegung alles stehen und liegen, wenn sie keine Lust mehr hatte. In solchen Momenten fand ich es wirklich schade, dass unser sechzigjähriger Chef, Herr Dr. Hagenborn, seine langjährigen Mitarbeiter nicht mehr so genau beobachtete – dabei hätte ein einziger wacher Blick genügt, um zu sehen, warum es mit dem Geschäft langsam aber sicher bergab ging.
Während Katja ab sechzehn Uhr den Rest des Tages genießen konnte, brütete ich noch zwei weitere Stunden über
ihrer
Arbeit.
Nur Norbert, Rainer und Doris waren ebenfalls noch im Büro und stritten sich lautstark über die abführende Wirkung von Früchtetee – immerhin endlich mal ein anderes Thema als das Wetter. Müde und genervt sortierte ich die Auswertungsbögen der aufbereiteten Clippings schon mal nach Empfängern und legte sie ordentlich auf Katjas Schreibtisch ab. Womöglich würde sie mich zum Dank dafür mal einen Tag nicht anmotzen.
Zur Belohnung gönnte ich mir eine Tasse starken Kaffee mit Schokoladenmilch, um vor dem Nachhausefahren wieder etwas munterer zu werden. Genüsslich nippte ich an dem süßen Getränk und loggte mich bei Facebook ein, wo mich bereits die diversen Statusmeldungen meiner Freunde erwarteten. Thomas hatte sich offenbar in einem todlangweiligen Meeting befunden, denn er hatte mir ganze vier Male auf die Pinnwand gepostet; allerdings nur irgendwelche semi-lustigen Sprüche, die ich nur kurz überflog. Es war verhältnismäßig ruhig in meinem Freundeskreis und unversehens kam mir Jamie wieder in den Sinn: War sein Leben immer noch ähnlich aufregend wie damals?
Ich griff mir ein MonCherie aus meiner Schreibtischschublade und schob es mir nachdenklich in den Mund. Sollte ich es einfach tun? Ihm eine kurze Nachricht schreiben, einfach so? Vielleicht –
nein, höchstwahrscheinlich
– würde er zwar nicht darauf antworten, aber was, wenn doch? Die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt und es wäre doch spaßig, eine Nachricht von dem ehemaligen Teenie-Schwarm schlechthin zu bekommen. Was hatte ich schon zu verlieren?
Ich fand Jamies Profil über den Link seiner Agentur wieder und starrte eine halbe Ewigkeit und weitere vier
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