Social Netlove
pixeligen Videoclip bei YouTube. Ich drehte den Ton meiner Lautsprecher nur ein klein wenig lauter, gerade so viel, dass ich die eingängige und lange vergessene Melodie des Songs hören konnte, ohne Katja darauf aufmerksam zu machen, dass ich mich auf einer der verbotenen Websites tummelte. Denn genau wie Facebook, eBay und Stayfriends war der YouTube-Besuch von unserem Chef ausdrücklich untersagt worden. Nicht dass sich irgendwer daran gehalten hätte, aber auf frischer Tat erwischen lassen wollte ich mich gerade von Katja trotzdem nicht.
Jamie Baker erschien in Großaufnahme auf meinem Bildschirm, wie er mit geöffnetem Hemd am türkisblauen Meer entlang lief und den Refrain einleitete. »Just sitting here with you – Holding your hand, I'm in paradise, lost in your wonderland …«
Seufz
. Es war genau die Stelle des Liedes, die ich im Alter von dreizehn Jahren zum ersten Mal aus Jamies Mund gehört hatte. Das war kurz nach meinem Wechsel auf das staatliche Gymnasium gewesen, als ich mich noch von dem Schock über die andere Welt erholte, der ich mich jede Pause hatte aussetzen müssen. Die Mädchen hatten damals unentwegt von irgendwelchen Fernsehstars geschwärmt: Darstellern aus Serien, die ich noch nie gesehen hatte oder Boybands, die weder intelligente Musik machten, noch sich in irgendeiner löblichen Form für das Allgemeinwohl engagierten. Im Klartext: ‚Überflüssiger Kommerzschrott‘, eine Bezeichnung, die ich bei meinem Vater aufgeschnappt hatte. Ich war stolz darauf gewesen, dass ich so erwachsen dachte und über den albernen Schwärmereien meiner Mitschülerinnen stehen konnte. Für mich gab es wichtigere Dinge als süße Jungs, die auf dem Bildschirm umherwackelten und einstudierte Augenaufschläge verteilten. Für Isa und ihre Freundinnen hingegen war meine Haltung ihren
Interessen
gegenüber unbegreiflich gewesen und nach ein paar Tagen hattensie es aufgegeben, ‚die Neue‘ mit BRAVO-Berichten oder Walkmanaufnahmen umstimmen zu wollen.
Noch bevor ich jedoch unwiderruflich zur Außenseiterin hätte mutieren können, geschah etwas, das mein Leben in den folgenden Jahren völlig auf dem Kopf stellte – ich verliebte mich. An jenem Tag hatte ich spät am Nachmittag in unserem Esszimmer meine Hausaufgaben erledigt, während meine Mutter im benachbarten Wohnzimmer eine ganze Wagenladung Wäsche bügelte. Ich konnte durch die offene Tür den TV-Apparat sehen und hören und dass obwohl Fernsehen während der Hausaufgaben in unserem Haus einer Todsünde nahe kam. Meine Mutter war so in ihre Bügelfalten vertieft gewesen, dass sie überhaupt nicht darauf geachtet hatte, dass der flimmernde Bildschirm meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Eine sanfte Männerstimme drang aus dem Nebenzimmer. Neugierig hob ich den Kopf und blickte direkt in das Gesicht eines braungebrannten Jungens, höchstens achtzehn Jahre alt, der verträumt in einer einsamen Bucht umherwanderte. Er lächelte mich vom Fernseher aus an und sang seine Gedanken hinaus in die Welt: »Just sitting here with you – Holding your hand, I'm in paradise, lost in your wonderland.« Im nächsten Augenblick waren drei weitere Jungs im Bild aufgetaucht und die Stimme eines bekannten Showmoderators ertönte aus dem Off. »Mit den Stargästen B.Touched«, sagte er euphorisch und wieder wurde das makellose Gesicht des jungen Sängers eingeblendet, dessen dunkelbraune Haare sich von der Meeresluft leicht wellten. Seine hellbraunen, goldgesprenkelten Augen funkelten im Kameralicht – und in eben diesem Moment war es um mich geschehen gewesen. Vergessen waren die dummen Bemerkungen über Kommerz und Abzocke, mit denen ich meine Klassenkameradinnen gerade erst aufgezogen hatte. Es war nur eine kurze Sekunde gewesen, die mein Leben verändert hatte. Ein grübchenlastiges Lächeln, welches ich in den folgenden Jahren nicht mehr aus dem Kopf kriegen sollte.
Von da an hörte ich in der Schule hin, wenn Isa und ihre Freundinnen über Boygroups redeten und stahl mich in den Pausen nicht mehr davon, um in Ruhe in einem Jugendbuch zu lesen, sondern lauschte schüchtern ihren Gesprächen. Isabelle hielt mir in den Fünfminuten-Pausen ihre BRAVO hin und wir schmökerten gemeinsam in den Artikeln über B.Touched, die sich wöchentlich darin fanden. Von da an waren wir Freundinnen gewesen. Und Verbündete im Kampf für unsere erste große Liebe, denn Isa schwärmte für Nathan, den charismatischen Leadsänger.
Ach ja
… das alles schien vor einer Ewigkeit
Weitere Kostenlose Bücher