verdient«, sagte Thomas ernst. »Die Kleine muss ja ziemlich abgebrüht sein. Mit siebzehn schon in so einer Branche zu arbeiten, da gehört einiges an Mut dazu.«
»Oder am Dummheit«, warf ich ergänzend ein. »Seid ihr sicher, dass ihr nicht vielleicht die falsche Franziska Sturm gefunden habt?«
»Unmöglich. Die Kuh hat ein Foto von sich hochgeladen. Sogar ein ziemlich züchtiges – wahrscheinlich macht das die Typen mehr an als ein ordinäres Nacktfoto.«
»Aber warum arbeitet Franziska dann bei uns?« Ich konnte meinen Freunden immer noch nicht ganz folgen. Die brave Franzi sollte ein leichtes Mädchen sein?
Unfassbar …
Allerdings hätte ich ihr auch nicht zugetraut, dass sie sich mit einem verheirateten Mann einließ und dann auch noch dessen Ehefrau so kaltschnäuzig gegenüber trat. Nicht zu vergessen, ihre miese Aktion mit den ausgedruckten Facebook-Gesprächen.
»Vermutlich ist sie doch nicht ganz so dumm. Sie macht eine solide Ausbildung, verdient sich aber gleichzeitig eine goldene Nase mit dem Begleitservice des Portals.«
»Deswegen muss sie also immer pünktlich gehen«, überlegte ich laut. Franziska arbeitete als eine Art Prostituierte. Das war unglaublich. »Will jemand einen Martini?«, fragte ich und schlurfte überfordert in die Küche.
»Es ist erst elf Uhr«, gab Thomas zu bedenken und runzelte die Stirn.
»Eben«, antwortete ich seufzend.
»Des nenn ich ma edel«, sagte Matze und blickte sich wohlwollend in dem noblen Restaurant um, das erst vor kurzem an der Alster eröffnet hatte. Der Kerzenschein der umstehenden Kronleuchter tauchte das Ambiente des
La Delizia
in ein romantisches, geheimnisvolles Flair und hochgeschlossen gekleidete Kellnerinnen huschten wie Schatten durch die Tischreihen. Sie waren so bemüht, nicht aufzufallen und die Gäste unter keinen Umständen mit ihrer Anwesenheit zu behelligen, dass ich sie erst recht beobachten musste.
Das hier war so gar nicht meine Welt und ich wunderte mich, dass Matze für heute Abend ausgerechnet diesen Laden ausgesucht hatte. Natürlich lag es nahe, eine besondere Location zu wählen, denn immerhin gab es etwas zu feiern, aber wir passten ebenso wenig hierher wie die englische Queen in ein Bierzelt. Oder besser:
Ich
passte nicht hierher. Matze dagegen schien es zwischen diesen ganzen attraktiven Leuten zu gefallen, die ihre Designerroben zur Schau trugen, gegen welche mein schlichtes, blaues H&M-Kleid keine Chance hatte.
»Ich gratulier dir nochmal, Marie. Jetzt kann en neues Leben für dich beginne, gell!« Matze lächelte sein hübsches, warmes Lächeln und prostete mir zu. Die Leberflecken auf seiner Wange verschwanden fast im Halbdunkel und seine leuchtenden, capriblauen Augen stachen umso stärker hervor.
Ja
, ein neues Leben konnte beginnen. Das, wovon ich lange geträumt hatte, bot sich mir nun auf dem Silbertablett dar: Eine Ausbildung zur Mode-Designerin. Das Erlernen des Handwerks von der Pieke auf, und zwar auf eine besonders aufregende Art und Weise. Und das alles hatte ich einer einzigen E-Mail zu verdanken, die mich am Mittwoch erreicht hatte.
[email protected] 22.06. 10:18
Betreff: Templey London – Anfrage persönliches Gespräch
Sehr geehrte Frau Lau,
unserem Chefdesigner ist ein Flyer von Ihnen in die Hände gefallen. Bitte melden Sie sich bezüglich eines Vorstellungsgesprächs bei mir. Wir würden Sie gerne kennenlernen.
Sie erreichen uns unter der folgenden Telefonnummer:
+44 20 1976-814435.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Reimann
Executive of Human Resource Development and Training
Templey London
Nach meinem anfänglichen Unvermögen mich zu bewegen oder etwas anderes zu denken als
Was? WAS?
, hatte ich zu allererst nach dem Label Templey London gegoogelt – und was ich dabei herausfand, stimmte mich noch euphorischer.
Dem Internet zufolge lag der Fokus der in London und New York erfolgreichen Marke von Designerin Kelly Templey auf zeitlosen, romantisch anmutenden Kleidern mit vielen besonderen Details. Als ich die Kollektionsbilder sah, begannen meine Wangen vor Aufregung zu glühen: Es waren traumhaft schöne Kleider, eines fantasiereicher und verträumter als das andere. Brautroben mit Tausenden von winzigen Perlen bestickt, asymmetrische Kleider mit funkelnden Steinchen, Spitze oder Stoffrosen besetzt und leichte Seidenstoffe, die mit weichem Wildleder verarbeitet worden waren.
Zunächst war ich ein wenig überfordert gewesen und hatte mich eine ganze Stunde lang