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geziert, die englische Rufnummer in mein Telefon einzugeben. Dann hatte jedoch die Neugier gesiegt.
Ein Jobangebot von einem Londoner Modelabel! Das konnte die Chance sein, die Thomas bereits seit Wochen propagierte.
Und tatsächlich. Annette, die sympathische Frau am anderen Ende der Leitung, kam schnell zur Sache. Sie hatte die Flyer gesehen, die in London umhergeisterten und war bei ihrer Recherche auf meine Internetseite gestoßen. Dabei hatte sie in meinem Eingangstext gelesen, dass ich keine gelernte Designerin war und fragte mich am Telefon, ob ich mir vorstellen könnte, mein Talent auf einer Universität zu schärfen. »Auf einer Universität? Wie meinen Sie das?«, hatte ich verdattert nachgefragt, denn nach einem Jobangebot klang das so gar nicht. Annette hatte erklärt, dass Templey London eventuell bereitwäre, mir ein Studium am London College of Fashion zu finanzieren – im Gegenzug sollte ich als Jungdesignerin für den geplanten neuen Standort in Hamburg tätig werden. »Wir bieten Ihnen die Chance auf eine Art duales Studium. In der vorlesungsfreien Zeit würden Sie arbeiten, ansonsten könnten Sie die Vorzüge eines renommierten Londoner Colleges genießen. Denken Sie darüber nach, Marie.«
Und das tat ich nun seit über achtundvierzig Stunden. Das Angebot klang fantastisch. Mehr noch: Es war genau das, was ich mir seit Jahren wünschte. Ein Studium, bei dem ich mich nicht um die Finanzierung sorgen musste und dann auch noch am London College of Fashion! Das war der Ort, an dem die ganz großen der Branche mitwirkten. Jimmy Choo, Tom Ford, Donatella Versace und auch Kelly Templey gaben dort Gastvorlesungen, der Designer Michael Michalsky, der nach Engagements bei Adidas und MCM nun erfolgreich seine eigene Linie bestritt, war aus dieser Universität hervorgegangen. Es war unglaublich, dass man
mir
plötzlich einen der begehrten Plätze an dieser Uni anbot.
»Ich sende Ihnen noch ein paar Unterlagen per Mail. Werfen Sie in Ruhe einen Blick darauf. Sie haben übrigens Glück: Ich bin mit ein paar Kollegen ab morgen in Hamburg, um die neuen Geschäftsräume zu beziehen. Sollten Sie Interesse haben, können wir gerne für übermorgen ein Vorstellungsgespräch vereinbaren.«
Mit diesem Telefonat hatte ich von einem Augenblick zum nächsten eine grandiose Perspektive erhalten.
Das Angebot war spontan, aber verbindlich, wie ich erst heute Nachmittag erfahren hatte. Ich hatte Annettes Angebot, mich mit ihr zu einem Gespräch zu treffen, natürlich angenommen. Angespannt hatte ich in meinem grauen Hosenanzug und bewaffnet mit meinem kompletten Lebenslauf, Skizzen und Entwürfen im Foyer eines noch recht kargen Gebäudes am Rande der Hafen City gewartet – zugegebenermaßen im Nachhinein nicht das ideale Outfit für eine Frau, die angab, dass Mode ihre große Leidenschaft war.
Doch Annette Reimann hatte lächelnd über meine Unsicherheit hinweggesehen. Sie war Anfang Vierzig, lebte seit acht Jahren in London und erfüllte im Stammhaus in London hauptsächlich personelle Aufgaben. Am neuen Standort Hamburg sollte sie bereichsübergreifend tätig sein und als direkte Vertreterin von Kelly Templey fungieren. »Sie sehen, ich könnte Ihre zukünftige Chefin sein, Marie. Ich denke, es gibt Schlimmeres«, hatte sie gelacht und mir Fragen zu meinem bisherigen Werdegang und meiner Vergangenheit im Modebereich gestellt. Mit konzentriertem Blick war sie meine Unterlagendurchgegangen, hatte die Designentwürfe studiert und dann ausgiebig die drei Kleider begutachtet, die ich als Arbeitsproben mitgebracht hatte.
»Sie besitzen Willensstärke – es gehört einiges an Mut dazu, Flyer in ganz London auszulegen«, hatte Annette anerkennend gesagt und mich prüfend angesehen.
Ich hatte kurz darüber nachgedacht, ihr zu erklären, dass dies nicht meine Idee gewesen war und ich mich selbst niemals getraut hätte, solch eine Aktion aufzuziehen – doch da hatte sie schon ihr sympathisches Lächeln hervorgezaubert. »Genau so jemanden wie Sie suchen wir, Marie. Ein frisches Gesicht, das sich durchzuschlagen weiß und neue Ideen mitbringt. Ihre Entwürfe sind wundervoll und passen ausgezeichnet in Templeys Konzept. Natürlich fehlen Ihnen einige Grundlagen, doch dafür gibt es ja das Studium.«
Annette hatte kein Detail des dualen Ausbildungskonzepts ausgelassen und verschwieg auch nicht, dass mein Gehalt für die vierjährige Zeit des Bachelorstudiengangs ‚Fashion Design Realisation‘ meinerseits nicht gerade
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