Socken mit Honig
Zügig bringe
ich ihn nach Hause, schicke ihn unter die Dusche, muss aber gleich wieder los,
meine Tochter vom Reitstall abholen. Wieder zu Hause nehme ich den hoffentlich
frisch geduschten Jungen– sind die Haare schon trocken? – wieder mit. Um 18.00
Uhr hat er Schach. Inzwischen ist mein Mann auch zu Hause. Er hat mit meiner
Tochter schon den Tisch gedeckt. Warum soll ich schon wieder essen? Ich saß
doch gerade eben erst am Esstisch. Wo ist denn mein schöner Freitag Nachmittag
hin? Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken ebenso wenig wie Zeit, um mich
an den Tisch zu setzen, denn um 19.15 Uhr muss mein Sohn vom Schach wieder
abgeholt werden. Leider ist er natürlich gerade mitten in einer Partie und kann
unmöglich abbrechen.
Als wir endlich zu Hause sind, will er ebenfalls etwas
essen. Meine Tochter möchte gerne den Family Cartoon im Fernsehen gucken. „Hast
du meinen Lieblingsschlafanzug gewaschen?“ Mein Sohn würde lieber „Wer wird
Millionär?“ sehen.
Ich würde am liebsten Freitag haben. So wie früher. Einen
Freitag, für den ich Gott danken möchte, dass er endlich da ist. Den Nachmittag
würde ich mit einem Buch und einer Tasse Tee auf dem Sofa verbringen. Ohne
Autoschlüssel. Abends könnte ich vielleicht mit meinem Mann ausgehen? Der hat
freitags nämlich früher Büroschluss – warum nur? Muss ich mir von nun auch noch
den Kommentar „Es gibt kein größer Leid, als wat der Mensch sich selbst andeit“
anhören?
Das der Moment
Als meine Tochter mich nach dem Trägheitsmoment fragt, zuckt
in mir sofort das schlechte Gewissen. Ich erzähle ihr, dass auf meinem Schreibtisch
irgendwo eine Notiz liegt, dass ich mich bei Herrn ‚weiß den Namen nicht mehr‘
melden soll, damit wir einige wichtige Punkte besprechen können. In den
vergangenen zwei Wochen hatte ich Urlaub. Im Urlaub mache ich um meinen
Schreibtisch grundsätzlich einen großen Bogen. Schließlich habe ich Urlaub! Die
Notiz war schon vor dem Urlaub da. Warum habe ich den Herrn nicht vor dem Urlaub
angerufen? Ist doch ganz einfach, auf dem Zettel stand zwar der Name des
betreffenden Herrn, nicht aber seine Telefonnummer. Die Telefonnummer habe ich –
weiß ich auch nicht mehr so genau wo. Bei all den vielen Dingen, die vor dem
Urlaub noch zu erledigen waren, erschien mir der Aufwand, die Telefonnummer von
Herrn ‚weiß den Namen nicht mehr‘ zu suchen, zu hoch. Weil ich nicht wusste, wo
ich suchen sollte. Außerdem war die Notiz vor meinem Urlaub auch schon
mindestens eine Woche alt. Schon fast verjährt ... Und nochmal: Mein
Schreibtisch ist total unordentlich. Er sieht zwar nicht so aus, denn es gibt
vier Papierstapel, optisch nett gestaltet, aber absolut unsortiert. Immer wenn
ein Stapel drohte unordentlich auszusehen, weil er zu hoch wurde und hätte
umkippen können, habe ich einen neuen Stapel angefangen. Was sich wo befindet,
was wie dringend erledigt werden muss, was vielleicht nur abzulegen ist oder
gar im Papierkorb verschwinden könnte, vermag ich beim besten Willen nicht zu
sagen. Ich muss unbedingt den Schreibtisch aufräumen, die Papiere sortieren und
abarbeiten. Oh, das dauert. Da brauche ich ganz viel Zeit. Jetzt gerade muss
ich aber erst mal frühstücken, mir ist schon ganz flau im Magen. Danach muss
ich den Tisch abdecken. Und die Küche aufräumen. Und die Spülmaschine
anstellen. Und die Waschmaschine ist auch noch dran. Schließlich kann ich an
den Schreibtisch gehen. Aber es ist kalt im Büro. Zuerst mal die Heizung
hochdrehen. Bis es im Zimmer warm wird, könnte ich noch einen Kaffee trinken.
Und eine Zigarette rauchen. Da klingelt das Telefon, meine Freundin will mit
mir plauschen. Ob ich einen Augenblick Zeit hätte? Ja, gerne! Nach einer
knappen Stunde finde ich erneut den Weg zu meinem Schreibtisch. Bevor ich
anfange, muss ich noch eben zur Toilette. Dann kann es losgehen. Noch bin ich
unentschlossen, welchen Stapel ich zuerst bearbeiten soll, da fällt mir ein,
dass ich gerne das Radio einschalten möchte, um mir die Arbeit mit Musik zu versüßen.
Ich nehme das erste Blatt Papier in die Hand, beginne zu lesen. Meine Brille
rutscht. Ja, das ist auch eine Sache, die ich erledigen muss. Mein Rücken
zwackt. Aber ich will jetzt erst mal die Sache mit dem Herrn ohne Namen
schaffen. Ich habe ganz kalte Hände. Also lege ich das Blatt zur Seite. In dem
Augenblick bemerke ich, dass im Radio ein interessanter Bericht läuft.
Aufmerksam höre ich zu. Meine Arbeit ruht währenddessen, denn ich bin
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