Socken mit Honig
Haare zu lang oder zu kurz sind, der Bauch zu dick ist oder
die Beine zu dünn sind, welches Model gut aussieht, welche Farben up to date
sind, und überhaupt alles, was in ist. Da halte ich mich bewusst heraus. Außer
manchmal, wenn mein – wie ich meine – guter Geschmack die Notbremse zieht,
ziehen muss.
„Schätzchen, ich bin Buchhalterin“, versuche ich es erneut.
„Was hast du denn heute so gemacht?“ Auch Julia sucht einen neuen Ansatzpunkt.
„Heute hatte ich eine Statistik zu erstellen, in der Deckungsbeiträge mit dem
Budget verglichen werden …“ Ein erneutes „Hä?“ bestätigt mir
überflüssigerweise, dass meine Tochter weder einen Deckungsbeitrag kennt, noch
mit einem Budget umzugehen weiß, noch gewillt ist, sich an eine differenziertere
Ausdrucksweise zu gewöhnen.
„Das hört sich alles ziemlich langweilig an. Gibt es denn
noch andere Sachen, die du so machst?“ Ich sehe ein, dass es keinen Zweck hat,
weiterhin meinen Beruf zu beschreiben und gehe dazu über, ihr vor Augen zu
führen, welche Aufgaben ich als Hausfrau und Mutter erfülle. Nach einer Weile
werde ich unterbrochen: „Danke, das reicht. Was arbeitet Papa eigentlich?“
„Papa hat so einen ähnlichen Beruf wie ich. Er leitet das Finanz- und
Rechnungswesen in seiner Firma. Man könnte sagen, dass er ebenfalls Buchhalter
ist.“ Erneut sehe ich Schwierigkeiten auf mich zukommen, ihr den Beruf ihres
Vaters zu erklären. Aber Julia beugt sich schweigend über ihr Heft und beginnt
zu schreiben.
Als ich später die Hausaufgabe kontrolliere, lese ich:
„Eigentlich ist meine Mama was ganz Langweiliges. Manchmal ist sie aber auch
Erzieherin, Köchin, Waschfrau, Gedankenleserin, Bügelfrau, Krankenschwester,
Bäckerin, Sachensucherin, Putzfrau, Handwerkerin, Gärtnerin, Restaurateurin,
Kindermädchen, Urlaubsplanerin, Diplomatin, Eventmanagerin, Animateurin, Pausenclown,
Beraterin, Schneiderin, Spaßmacherin, Lebensplanerin, Einkäuferin, Taxifahrerin
und Erfinderin. Mein Papa ist auch was ganz Langweiliges, aber den konnte ich
nicht fragen, ob er irgendetwas Wichtiges macht, weil er arbeiten war. Wie viel
Geld sie verdienen, weiß ich nicht. Vielleicht sind meine Eltern Lebenskünstler,
denn zu Essen haben wir immer genug, sogar gesunde Sachen, die ich gar nicht
mag.“
Sonnenklar, dass zumindest zum Thema ‚Emanzipation‘
Erklärungen vorerst unterbleiben können.
Claudia isst Spinat
Meine Freundin hat vor acht Jahren geheiratet. Vor sieben
Jahren kam das erste Baby – ein Junge. Vor sechs Jahren wurde das zweite Baby
geboren – ein Junge. Ein weiteres Jahr später schenkte Inga einem dritten
Jungen das Leben. Inga und Johannes liebten ihre drei Jungen vom ersten
Augenblick an, kein Zweifel. Niemals hätten sie sich gewünscht, dass die Kinder
anders gewesen wären. Jeder einzelne war perfekt in den Augen seiner Eltern.
Aber eigentlich hatten sie sich von Anfang an ein Mädchen gewünscht. Als nach
zwei weiteren Jahren Claudia geboren wurde, war die Familie erleichtert, dass
das „Klassenziel“, eine Tochter zu bekommen, nun endlich erreicht war. Inga war
vor dem ersten Kind, einer geregelten Arbeit in einem Büro nachgegangen:
38-Stundenwoche mit festen Arbeitszeiten. 30 Urlaubstage im Jahr sowie
Überstunden, die bezahlt wurden. Diesen Job hatte sie längst an den Nagel gehängt,
vielmehr kannte sie keine Sonn- oder Feiertage mehr, sie hatte Nacht-, Früh-,
Tag- und Spätschicht. Überstunden fielen nicht mehr an. Wann auch? Urlaub wäre
schön gewesen. Sehr wünschenswert.
Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, da war er dringend
nötig. Dieser Zeitpunkt ist jetzt. Johannes hat zwei Wochen Malediven gebucht
für seine Liebste und sich. Punkt. Nur für seine Liebste und sich. Nicht für
die Kinder. Die Eltern wollen alleine fahren, denn sie wollen und müssen
unbedingt ausschlafen, entspannen, faul sein, an sich denken, zu zweit sein.
Die Kinder machen auch Urlaub, sie dürfen die zwei Wochen bei ihren jeweiligen
Paten verbringen. Daniel kommt zu Anna und Gerd und deren beiden Kinder auf
ihren Bauernhof im Sauerland. Julian fährt mit Greta und Michael in deren Wohnmobil
in die Eifel. Christian darf mit Petra und Norbert an die Nordsee verreisen.
Die drei Jungen freuen sich sehr auf ihren ersten Urlaub und sind mächtig
stolz, dass sie ihn ohne ihre Eltern verbringen werden, weil sie sich schon so
groß, so erwachsen und so stark vorkommen.
Claudia, die von ihren Eltern so sehnlichst erwünschte
Tochter, war vom
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