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Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk

Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk

Titel: Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne U. Wiemer
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Sekunden schienen sich endlos zu dehnen. Dann übertönte der schmetternde Krach des Aufpralls jedes andere Geräusch, und aus den weißen, tanzenden Schleiern brach ein Feuerball hervor, der die Augen blendete und das Schneefeld in den Widerschein seiner Glut tauchte, als sei es mit Blut übergossen.
    *
    Marius Carrisser hielt den Atem an.
    Im Lautsprecher überschlug sich Crois schrille, verzweifelte Stimme. Panik peitschte ihn. Schon vor Minuten, als er zur Landung ansetzte, hatte ihn Todesangst geschüttelt, jetzt schrie er.
    »Es geht nicht ... Es geht nicht ... Die Felsen ...«
    Das Lautsprecher-Gitter vibrierte.
    Ein schluchzender Laut drang heraus. Ein paar gestammelte Wortfetzen in Crois Muttersprache. Und dann das grauenhafte Krachen und Bersten, das alles auslöschte.
    Carrissers Hand am Mikrophon zitterte.
    Aus, dachte er. Der Junge war tot, war mit dem Flugzeug, das er im Schneesturm nicht mehr zu beherrschen vermochte, gegen eine Felswand gerast. Der Uranier wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war erschöpft, ausgebrannt, von einem Gefühl der Schuld erfüllt, das er nie zuvor in seinem Leben empfunden hatte. Fast eine Stunde am Funkgerät ... Der Versuch, vernünftige Anweisungen zu geben, die dann doch nichts nützten. Die wachsende Verzweiflung des Jungen, der allein in der weißen Hölle war, keinen Ausweg fand, schließlich in heller Panik um Hilfe flehte, Hilfe, die ihm niemand geben konnte. Carrisser versuchte vergeblich, die Gewißheit wiederzufinden, daß ein einzelnes Leben nicht zählte. Es war leicht, am Schreibtisch mit einem Federstrich ein Leben auszulöschen. Als Kommandant der Luna-Kerker hatte Carrisser es oft tun müssen. Aber mit Angst und Grauen des Sterbens war er nie konfrontiert worden, und er wußte, daß er das Erlebnis der letzten Stunde nicht mehr vergessen würde.
    Sekundenlang schloß er die Augen.
    »Aus«, murmelte er. »Das war das letztemal, daß ich einen solchen Wahnsinn zugelassen habe. In Zukunft ...«
    Abrupt brach er ab.
    Er hatte mehr zu sich selbst gesprochen, nun wurde ihm das lastende Schweigen in seinem Rücken bewußt. Auch Bar Nergal und seine Anhänger waren Zeugen des Dramas geworden, das der Lautsprecher übertrug. Für ein paar Minuten hatte Carrisser die Priester völlig vergessen. Jetzt stellten sich seine Nackenhaare auf, fröstelte er im plötzlichen Bewußtsein der Gefahr. Langsam hakte er das Mikrophon zurück in die Halterung, um die Hand für die kleine Betäubungspistole frei zu haben. Aber er wußte nicht, was hinter ihm vorging. Von einer Sekunde zur anderen lastete Angst wie ein Eisblock in seinem Magen.
    Als er sich aufrichten wollte, traf Bar Nergals Stimme seinen Rücken.
    »Halt, Marsianer! Rühr dich nicht! Ich ziele mit dem Lasergewehr auf dich. Du wirst meine Pläne in Zukunft nicht mehr vereiteln.«
    »Bar Nergal ...«
    »Wirf deine Waffe weg!« forderte der Oberpriester. »Langsam und vorsichtig, wenn dir dein Leben lieb ist.«
    Seine Stimme vibrierte.
    Haß lag darin. Gnadenlose, fanatische Entschlossenheit. Carrisser begriff, daß er ein paar Worte zuviel gesagt hatte. Aber er begriff auch, daß es früher oder später ohnehin so weit gekommen wäre, daß dieser wahnsinnige Greis schon lange seine eigenen Pläne verfolgte.
    Der Uranier spannte sich.
    Was konnte er tun? Sich zur Seite werfen? Blitzschnell die Betäubungspistole aus dem Gürtel reißen und ...
    Er schrie auf, als hinter ihm das Lasergewehr fauchte.
    Eine Handbreit an seiner Schulter vorbei zischte der rotglühende Feuerstrahl und schwärzte den Betonboden. Carrisser kämpfte vergeblich gegen das Zittern.
    »Nun?« fragte Bar Nergal schneidend.
    Langsam griff der Uranier nach der Waffe, zog sie mit Daumen und Zeigefinger aus dem Gürtel und ließ sie fallen. Als er sich umwandte, war sein kantiges Gesicht fahlweiß geworden. Hilfesuchend glitt sein Blick über die übrigen Priester, über Chan, über Charilan-Chi, die den Todesschrei ihres eigenen Sohnes gehört hatte. Aber selbst das blasse, zuckende Gesicht der Königin spiegelte keinen Widerspruch, sondern schrankenlose Ergebung in den Willen ihres »Gottes«.
    Bar Nergals dünne Lippen verzogen sich zum Zerrbild eines Lächelns.
    »Nehmt ihn gefangen«, befahl er. »Fesselt und bewacht ihn und paßt gut auf ihn auf! Wir werden ihn noch brauchen.«
    *
    Trümmer glühten.
    Dampf stieg auf, die Hitze ließ ringsum den Schnee schmelzen. Ein schräger Gesteinsgrat schirmte die Stelle etwas gegen den Wind ab.

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