Söhne der Erde 18 - Das Schattenvolk
Die Felswand, die dem Flugzeug zum Verhängnis geworden war, stieg glatt und steil an und schien sich über den Köpfen der Menschen im Nichts zu verlieren.
Sie hatten fast eine halbe Stunde gebraucht, um in dem Unwetter das weite Schneefeld zu überqueren.
Charru, Camelo und Gillon starrten stumm auf den geschmolzenen Metallklumpen, der vom Rumpf der Maschine übrig geblieben war. Neben ihnen standen Karstein und Kormak, stand Lara, die den Folienbeutel mit der medizinischen Notausrüstung an sich preßte, obwohl von Anfang an klargewesen war, daß hier niemand mehr helfen konnte. Gerinth hatte den Arm um die Schultern von Cris gelegt, während Beryl und Erein einen aussichtslosen Versuch machten, die Trümmer näher zu untersuchen. Es gab nichts zu finden. Nicht allein das Flugzeug, sondern auch sein Vorrat an Sprengbomben war explodiert. Außer Metallfetzen und ein paar Blutspuren ließ sich nichts mehr erkennen.
Auch Ciran stand am Rand des rauchenden Trümmerfelds.
Seine Lippen zitterten. Hilflos wanderte sein Blick zu Cris hinüber, der sich seiner Tränen nicht schämte. Ciran spürte den gleichen Wunsch, um seinen Bruder zu weinen. Aber er war allein, ausgeschlossen von dem schützenden Kreis aus Trost und Mitgefühl, der sich um Cris schloß, und der Junge bezwang die Tränen.
Aus einem Impuls heraus wollte Charru zu ihm hinübergehen, als Beryls Stimme ihn unterbrach.
»Charru! Rasch! Schau dir das an!«
Der blonde Schopf des Tiefland-Kriegers hob sich unmittelbar vor der senkrechten Felswand ab. Erein stand neben ihm und starrte ebenfalls auf die Stelle, wo sich das Flugzeug in das Gestein gebohrt hatte. Charru mußte einen Bogen schlagen, um den glühenden Trümmern auszuweichen. Camelo, Gillon und die Nordmänner folgten ihm.
»Da!« sagte Beryl erregt.
Seine Hand wies dorthin, wo die Explosion ein Loch in die Felswand gerissen hatte. Der Widerschein der letzten Glutnester fiel darauf. Geborstene Steine. Ein paar tiefe, klaffende Risse. Und dahinter ...
Etwas schimmerte.
Ein merkwürdiger matter Schimmer wie von blauem Stahl ...
Mit zwei Schritten glitt Charru näher an die Wand heran. Splitter und Steintrümmer knirschten unter seinen Füßen. Vorsichtig turnte er über ein paar herabgestürzte Blöcke hinweg, wich einem verbogenen Metallteil aus und suchte Halt an der Kante des tiefen Einschnitts.
Es war Stahl, der da schimmerte.
Glatter mattblauer Stahl, ebenmäßig wie eine Wand - eine Wand, die sich etwa zwei Meter tief im Innern der Felsen hinzog. Charru grub die Zähne in die Unterlippe, kniff ungläubig die Augen zusammen. Sein Blick wanderte weiter, tastete nach oben und blieb schließlich an einer Art Rohr hängen, einer großen gewölbten Ausbuchtung im Metall, deren Zweck sich nicht mehr erraten ließ, weil die Explosion sie deformiert hatte.
Technik ...
Irgendeine technische Anlage, tief im Berg verborgen, vom Zufall des explodierenden Flugzeugs ans Licht gerissen. Charru dachte an das gespenstische Labor auf dem Meeresgrund, an den Alptraum irdischer Vergangenheit, in den sie ein Riß in der Zeit geschleudert hatte. Aber jetzt waren sie in der Gegenwart. Was immer sich in diesem Berg verbarg, mußte seit mehr als zweitausend Jahren ein totes Relikt sein.
»Was, bei der Flamme, ist das?« fragte Karstein hinter ihm heiser.
Charru zuckte die Achseln.
Noch einmal tastete er die stählerne Wand und das merkwürdige Rohrstück mit den Augen ab, dann wandte er sich um und kletterte über die Steintrümmer zurück. Die anderen musterten immer noch verblüfft das Loch im Felsen.
»Vielleicht eine Art Bunker?« fragte Camelo gedehnt. »Ein unterirdischer Schutzraum, den die Menschen hier während des Krieges benutzten?«
»Möglich. Oder ein Waffenlager.« Charru blickte an der steilen Felswand hoch und schüttelte sich leicht. »Auf jeden Fall kann ich mir gut vorstellen, daß es etwas ist, an dem die Menschen heute besser nicht mehr rühren.«
Camelo nickte nur.
Mit einem tiefen Atemzug wandte er sich um. Jenseits des Kreises aus verstreuten, allmählich abkühlenden Trümmern waren nur Lara, Gerinth und die Brüder des toten Piloten zurückgeblieben. Cris hielt den Kopf gesenkt. Ciran stand mit hängenden Armen da, eine schmale, seltsam wehrlos und verloren wirkende Gestalt. Charru machte sich einmal mehr klar, daß der Junge selbst nach den Begriffen seines eigenen Volkes fast noch ein Kind war.
Jetzt warf er sich mit einer heftigen Bewegung herum, als könne er den
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