Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
Tiefen abglitt und zur düsteren Klage wurde.
Charru kannte die Worte der alten Ballade. Vor zweihundert Jahren hatte ein unbekannter Barde den ersten Kampf zwischen Tiefland und Tempeltal besungen, den Bau der Großen Mauer, den Sieg des Fürsten von Mornag, der die Stämme um sich sammelte und gegen den ersten Oberpriester einer von falschen Göttern begründeten Religion führte. Mark Nord lehnte sich zurück und hörte fasziniert zu. Camelo spielte weiter. Nur einmal stockte er und brach ab, weil seine Finger wie von selbst die Akkorde der neuen, letzten Ballade griffen, die er »Sternenlied« nannte. Vor ein paar Monaten hatte er sie erfunden, als die Sterne für ihn noch Hoffnung und Verheißung gewesen waren. Jetzt standen sie alle am Ende der Hoffnung. Die Erde starb, und die Sterne waren zum Gefängnis geworden.
Camelo spielte, bis das Donnern von Triebwerken in die kleine Zelle drang.
Die »Kadnos X« startete. Und wenig später wurde es in dem kleinen Lautsprecher über der Zellentür lebendig.
Eine kühle, emotionslose Stimme forderte die Männer auf, sich anzuschnallen.
Zwanzig Minuten verstrichen, dann dröhnten auch die Triebwerke der »Deimos VII«, und der Kampfkreuzer schraubte sich in den Himmel.
*
In ihrer Suite im Regierungssitz von Kadnos hielt Lara den Computer-Ausdruck mit den Informationen in der Hand, die ihr Vater abgerufen hatte.
Im Rücken spürte sie den Blick von David Jorden, dem jungen Wissenschaftler aus Jupiter City. Er war an Bord des Forschungsschiffes gewesen, das Lara gegen ihren Willen von der Erde zum Mars brachte - eine schicksalhafte Begegnung für ihn. Lara wußte, daß er sie liebte: Aber nicht deshalb hatte sie sich bereiterklärt, ihr Studium an der Universität Indri fortzusetzen, wo sie mit ihm zusammenarbeiten konnte. David Jorden glaubte an die Möglichkeit, die Erde zu retten, wollte wissenschaftliche Methoden entwickeln, mit deren Hilfe sich die Wirkung des tödlichen Kohlendioxyd-Rings wieder aufheben ließ. Eine vage Hoffnung, denn die Behörden hatten keinen Grund, ihre Entscheidung von damals zu revidieren. Aber Lara klammerte sich an diese Hoffnung, um nicht völlig zu verzweifeln.
»Charru von Mornag lebt?« fragte Jorden hinter ihr leise.
Sie nickte. »Ja, er lebt. Er und neun andere sollen nach Kadnos gebracht und vor Gericht gestellt werden.«
David Jorden biß sich auf die Lippen.
Er wußte, was die Tatsache für Lara bedeutete. Sie würde Charru wiedersehen, würde um ihn zittern, würde es später umso schwerer haben, sich innerlich von ihm zu lösen.
»Vor Gericht gestellt und entweder zum Tode oder zu lebenslanger Deportation verurteilt«, vollendete der junge Wissenschaftler. »Es ist sinnlos, sich an ihn zu klammern, Lara. Sie müssen ihn vergessen, Sie... «
»Das kann ich nicht«, sagte Lara tonlos.
»Sie müssen! Sie dürfen nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen, ihm nachzutrauern. Ich habe Sie schon einmal gebeten, meine Frau zu werden, Lara. Wenn Sie nichts für mich empfinden, dann hören Sie wenigstens auf Ihre Vernunft. Die Behörden würden unsere Verbindung sofort genehmigen und... «
»Ich kann nicht, David. Ich gehöre zu Charru, und daran wird sich nie etwas ändern.«
Jordens Augen brannten. Mit einer hilflosen Geste ließ er die Schultern sinken.
»Niemals ist ein großes Wort«, sagte er heiser. »Ich werde warten, Lara. Und ich werde da sein, wenn Sie mich brauchen. «
VI.
Der Kreuzer landete während der Nacht in Kadnos-Port.
Silberne Polizeijets glitten auf das Schiff zu, um die Gefangenen zu übernehmen. Im Licht der beiden Monde glichen die schimmernden weißen Kuppeln und Türme der Stadt einer Traumvision. Charrus Blick wanderte in die Runde - ein Blick voll brennender Bitterkeit. Wieder auf dem Mars... Er konnte den roten Staub der Ebene schmecken, der in der Luft lag, sah die seltsamen Doppelschatten, die Phobos und Deimos hervorriefen. Die Häuser des Alten Kadnos spiegelten sich im schwarzen Wasser des Kanals. Düster und drohend hoben sich die verschachtelten Gebäude der Liquidations-Zentrale ab, durch deren Gänge die Barbaren aus der Mondstein-Welt nach ihrer Flucht geirrt waren. Damals hatten sie der gespenstischen Maschinerie des Todes entkommen können. Wenn man sie jetzt verurteilte, würde es keine Chance mehr geben.
Charru wurde neben Mark in einen der Jets dirigiert.
Sie waren gefesselt, aber die Marsianer' hatten darauf verzichtet, sie unter Drogen zu setzen. Marks Blick hing an
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