Söhne der Erde 22 - Flug der Verlorenen
Lippen.
»Jordis«, flüsterte sie erschüttert. »Ich habe nicht einmal ihr Kind kennengelernt. Und Mareli... Mein Gott, warum mußte so etwas geschehen?«
»Es war unser Fehler. Wir haben die schwache Stelle übersehen, die General Kane sofort erkannte.« Charru stockte. Sekundenlang ging sein Blick durch alles hindurch. »Ich weiß nicht, ob wir das Recht hatten, das Leben so vieler Menschen auf's Spiel zu setzen. Ich habe es mich gefragt, ein dutzendmal, hundertmal... Ich weiß es nicht. «
»Ihr habt getan, was ihr mußtet«, sagte Lara leise. »Vielleicht war es falsch. Aber ich weiß eins, Charru: wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, mit euch zu kämpfen - ich wäre sofort gekommen. Ich hätte es gemußt. Nicht einmal die Angst um das Leben des Kindes hätte mich hindern können.«
»Ich war froh, dich in Sicherheit zu wissen, ich... «
»Und ich hätte diese Sicherheit nur zu gern gegen meine Freiheit eingetauscht.« Sie schwieg einen Moment und senkte den Kopf. »Mein Vater wird das nie begreifen«, flüsterte sie. »Er läßt mich nicht fort. Aber ich werde einen Weg finden, ich... «
»Das darfst du nicht, Lara. Was immer geschieht - für mich wird es leichter sein, wenn du in Sicherheit bist. Willst du, daß unser Kind in einer Strafkolonie aufwächst?«
»Und hältst du es für besser, wenn es in einer staatlichen Schule zum Marsianer erzogen wird? Mein Vater hat dich überredet, mir das zu sagen, nicht wahr? Aber keiner von euch kann mir die Entscheidung abnehmen.«
»Ich weiß. Aber ich kann dich bitten. Und dann - noch steht nicht fest, wie der Prozeß ausgehen wird.« Er zögerte, dann sprach er weiter, weil Lara die Wahrheit ohnehin wußte. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Behörden so viel Mühe machen, nur um uns am Ende genau wie die anderen zum Uranus zu schicken. «
Lara schüttelte heftig den Kopf. »Das darfst du nicht sagen! Mein Vater wird es schon schaffen. Und wenn nicht, dann... «
Sie brach ab.
Charru blickte in das bleiche, entschlossene Gesicht, in die schönen Augen, die hinter dem Tränenschleier rebellisch funkelten. Er glaubte, sie nie so sehr geliebt zu haben wir in diesen Sekunden, und gleichzeitig schnürte die Angst um sie ihm die Kehle zusammen.
»Was hast du vor?« fragte er heiser.
»Nichts, Charru.« Sie schluckte. »Aber hast du mir nicht oft genug gesagt, daß es immer noch eine Chance gibt? Es kann nicht unmöglich sein, aus der Klinik zu entkommen. «
»Aber es wäre sinnlos. Wohin sollten wir denn fliehen?«
»Zur Venus zum Beispiel. Ihr könntet ein Schiff kapern. Mein Vater würde es nie fertigbringen, euch auszuliefern, das weiß ich. «
Charru schüttelte den Kopf.
Er glaubte nicht mehr an die Chance, an die sich Lara klammerte. Sanft berührte er ihre Schläfe und strich über das blonde Haar.
»Versprich mir, daß du dich nicht in Gefahr bringst«, bat er. »Du mußt Erlend beschützen, du...«
»Ich werde ihn beschützen. Aber ich verspreche nichts. Ich muß meinen eigenen Weg gehen, genau wie ihr alle. «
Ihre Stimme zitterte dabei.
Aber in ihrer Haltung, dem schmalen Gesicht und den leuchtenden Augen lag ein Ausdruck unbezwinglicher Kraft, und es war dieses Bild, das Charru mitnahm, als er wenig später wieder durch die Korridore der Klinik zurückgebracht wurde.
*
Wie fast alle Städte des Uranus lag auch Kher unter einer gewaltigen Kuppel.
Von einem Schiff im Orbit aus gesehen bedeckten die Siedlungen den Planeten wie ein loses Netz glänzender halbrunder Pocken, von überkuppelten Gleiterbahnen verbunden, die aus der Entfernung rötlichen Glühfäden glichen. Vor zweitausend Jahren hatte die kosmische Katastrophe auch hier die Verhältnisse verändert, hatte die Bedingungen für menschliches Leben in einer atembaren Atmosphäre geschaffen. Aber auf dem Uranus herrschte ewiger Winter, erzeugte die ferne Sonne nie mehr als ein blaues, metallisches Dämmerlicht. Dunkelheit und Kälte waren die Hauptfeinde der ersten Siedler gewesen. Sie hatten den Kampf aufgenommen, hatten ihre Kuppeln gebaut, hatten sich durch den gewaltigen Eispanzer gewühlt, um die unerschöpflichen Rohstoff-Quellen anzuzapfen - und jetzt tauchten sie ihre Welt in einen Rausch von künstlichem Licht und leuchtenden Farben.
Der Pilot der »Kadnos X« landete das schwere Oberlicht-Schiff nach fünf Umkreisungen und einem äußerst vorsichtigen Eintauchen in die dichte Atmosphäre auf dem Gelände von Uranus-Port.
Der Raumhafen lag außerhalb von
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