Soehne & Liebe der Nacht
leben musste. Henry wandte sich vom Fenster ab, sein Blutdurst zwang ihn, sein Schicksal anzunehmen. Henry nahm seinen Dolch vom Tisch und fühlte einen Stich im Herzen. Wie oft hatte er Diana geschworen, keine Menschen mehr zu töten, doch er hatte einsehen müssen, dass es keine Alternative für einen Sohn der Nacht gab.
„Vergib mir, Diana“, flüsterte Henry, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und ihn die Dunkelheit verschlang.
4
Wut, Verzweiflung und Liebe, all diese Gefühle durchfluteten Diana, als sie am späten Abend im Rosengarten der höchsten Ebene darüber sinnierte, was Thomas ihr über seine Begegnung mit Henry erzählt hatte. Dianas Herz raste, als die alten Bilder, die sie einst mit Henry verbanden, in ihrem Kopf lebendig wurden. Bilder, die die Geschichte einer Liebe erzählten,'die die Dunkelheit besiegen wollte und doch im Licht der Sonne nicht existieren konnte. Während ihr Verstand die bittere Wahrheit erkannte und einsah, dass Henry nicht ihr, sondern der Dunkelheit gehörte, umgab ihr Herz eine Aura unsterblicher Liebe, die keine Vernunft durchdringen konnte.
„Du siehst nachdenklich aus, darf ich mich zu dir setzen?“, riss Thomas, der sich langsam näherte, Diana aus ihren Gedanken.
„Natürlich, nimm Platz“, erwiderte sie erleichtert, den Mann zu sehen, der ihre Gefühle für Henry verstand. Thomas schmunzelte.
„Ich muss dich nicht fragen, an wen du denkst.“ Diana rang um Fassung.
„Seit Henry mich getötet hat, lebe ich in diesem Schloss. In dieser Welt fand ich inneren Frieden, weil ich erkannte, dass der Mann, den ich liebe, ein Opfer seiner Herkunft ist und ein Wir unmöglich.“ Diana sah Thomas tief in die Augen. „Nun bist du hier und meine Welt geriet aus den Fugen. Henry hat seinen Brüdern getrotzt, meine kleine Schwester beschützt und seine Liebe zu mir gestanden. Diese Welt, die mir inneren
Frieden schenkte, ist nun ein Gefängnis, das mich von einer Liebe trennt, die endlich sein könnte.“ Mitfühlend legte Thomas seine Hände auf die ihren und spürte ihr Zittern.
„Jedes Gefängnis öffnet irgendwann seine Türen.“ Diana schüttelte heftig ihren Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Nicht dieses. Bitte, wenn du auf die Erde zurückkehrst, sage Henry, dass ich ihn liebe und ihm vergebe.“ „Er wird es erfahren“, versprach Thomas.
„Ich wünschte nur, ich wüsste, wie lange Kairon mich hier noch festhalten will. Noch mehr beunruhigt mich, dass er Saphira gestern auf die Erde schickte. Ich hoffe, es gibt dort nicht neues Unheil, alles schien so hoffnungsvoll, als ich die Erde verließ.“
„Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen“, seufzte Diana.
5
Amanda stellte die schwere Reisetasche, die sie vom Bahnhof bis zum Motel geschleppt hatte, auf dem Gehweg ab und betrachtete das Gebäude, das der ganze Stolz ihres Ziehvaters war. Es war in einem wunderschönen Blau gestrichen, und ein Künstler hatte die Schönheit des Elstertales darauf verewigt. Freude und Angst zugleich überfielen Amanda. Konnte sie es einerseits kaum erwarten, Paul nach sechs langen Jahren wiederzusehen, umklammerte sie andererseits die Angst vor der Erinnerung an den Mann, der sie an den Rand der Hölle geführt, ihr Herz zerbrochen und ihre Seele zerstört hatte. Tief atmete Amanda durch, sie schuldete Paul einen Besuch und vieles mehr.
Paul, ein guter Freund ihres Vaters, hatte sie wie eine Tochter aufgenommen, als Amandas Eltern vor zwanzig Jahren spurlos verschwunden waren. Sieben Jahre alt war Amanda damals gewesen. Sie griff nach ihrer Tasche.
„Komm schon, Mädchen, stell dich deinem Schicksal“, rügte sie sich selbst und ging auf die Eingangstür zu. Drinnen brannte Licht und Paul stand hinter der Rezeption. Amanda überfiel ein schlechtes Gewissen, nur ihretwegen war er halb vier Uhr nachts noch wach. Amanda atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Eingangstür aufschob. Pauls Gesicht fing an zu strahlen. Er trat sofort hinter der Rezeption hervor und lief mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
„Mein Mädchen, du hast in unsere kleine Stadt zurückgefunden.“ Überschwänglich umarmte er sie.
Amanda genoss es aus tiefstem Herzen, wieder in den Armen des Mannes zu liegen, der ihr in so vielen schweren Stunden Halt gegeben hatte.
„Sei mir nicht böse, Paul, ich bin todmüde. Lass uns morgen reden“, murmelte Amanda an der Schulter ihres Ziehvaters.
„Sicher, mein Kind. Ich bringe dich nach oben.“ Paul lief zur Rezeption
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