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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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hatte, dem Jungen entgegen, der aufschrie und durch die offene Haustür auf seinen Vater zustürzte. Der Junge weinte und schrie.
    Man hörte den Betrunkenen vor sich hin schimpfen.
    Der Junge versuchte, seinem Vater aufzuhelfen, aber der wehrte sich dagegen und zog schließlich den Sohn zu sich hinunter. Sie rangen stumm miteinander. Der Vater presste das Gesicht des Jungen an seine Brust, gegen sein fleckiges Hemd, und erstickte dessen Schreie darin. Templ versuchte, trotz des Schwindels, dazwischenzugehen. Der Junge zuckte zusammen, als er Templs Hand auf seinem Rücken spürte. Er hatte Angst vor ihm, warum? Er hatte ihm doch geholfen.
    Aber die Schwindelattacke wurde nun stärker und Templ musste zurück ins Haus. Verdammter Alkohol, dachte er. Er schaffte es mühsam bis ins Arbeitszimmer und legte sich dort auf den Schreibtisch. Automatisch nahm er, wie immer, wenn er aufgeregt und hilflos war, die Fötusstellung ein. Ein Buch lag vor ihm. Er nahm es in die Hand und blätterte darin. Das Buch hatte mit ihm absolutnichts zu tun, nichts mit seiner Situation, nichts mit seinem Leben, aber dennoch blätterte er darin, denn er musste wieder zu Atem kommen, sich konzentrieren. Er überflog ganze Absätze und verweilte manchmal lange und gedankenverloren auf einem Wort und zählte dessen Buchstaben.
    Ich habe ihm doch geholfen.
    Bei diesem Gedanken drehte sich die Zimmerdecke und sank in unerreichbare Ferne.
    Man hörte Stimmen vor dem Haus. Die Loyalität des Sohnes, die Tatsache, dass er zuerst Schutz
vor
seinem Vater gesucht hatte, dann
für
ihn, dass er diesen Verrückten plötzlich verteidigte, gegen ihn, Templ, der doch nur helfen wollte – all das irritierte ihn, ließ ihn schwach werden. Halt suchend blätterte er in dem Buch und spielte mit einzelnen Wörtern, ohne die Sätze, in denen sie vorkamen, zu lesen.
    Dann plötzlich war der Schwindel vorüber, er konnte sich aufrichten und aus dem Haus gehen. Die Polizei war inzwischen eingetroffen.

4
Verlagerung
    – Armer, Armer, streichelte sie ihn mit Fingern, kleiner als die seiner Frau, Armer du. Und so verletzt?
    Er wusste nicht, was er antworten sollte. Ja, sie hatte Recht … verletzt, angeschossen, ein sterbendes Tier. Drei Stunden hatte ihn die Polizei befragt. Mit ihren Notizbüchern.
    Natalie streichelte seinen Nacken. Du könntest, könntest du … nicht immer über dieselbe Stelle, das macht mich …
    – Danke, das ist lieb von dir, sagte er und drehte sich um.
    Fremde Polsterbezüge. Der frische Geruch ihres nackten Körpers. Alles in diesem Raum erschien ihm erneuert und frisch, sogar seine Armbanduhr fühlte sich jünger an.
    Über dem Bett hing das Bild von Escher, das Natalie so liebte.
    – Es ist das ironischste Bild von allen, hatte sie ihm einmal erklärt. Es ist völlig egal, womit der Raum ausgefüllt wird, will der Maler sagen. Das ist mir erst angesichts dieser total fantasielosen Geometrie klar geworden. Und es ist egal, wie ihr euch auf der Welt verteilt.
    Warum sagte sie
ihr
und nicht
wir?
    – Ganz egal wie, ganz egal wo. Es ändert sich dadurch nichts. Genau das sagt das Bild. Jeder baut einen so-lidenKubus um sich und legt ein paar Kommunikationskanäle zu den anderen. Mehr gibt es nicht. Das Geniale ist, dass das Bild so Recht hat, wie man es nur haben kann, sich aber gleichzeitig total irrt. Vollkommen. Das ist doch einzigartig, oder?
    Templ schaute zu dem Bild auf. Er liebte Natalies Erklärung, erinnerte sich gerne daran. Und er liebte Natalie für ihre Erklärung; sie machte für ihn vieles leichter. Das Bild hing indessen unbekümmert da, wusste nichts von ihm und Natalie, dass es sie überhaupt gab. Es erschien wie eine überraschende, dabei viel zu einfache und elegant erschlichene Lösung für ein komplexes Problem. Gleichzeitig wirkte es, betrachtete man es lange genug, fast sarkastisch, sogar ein wenig boshaft.
    Wie der Arzt, der das Urteil über seinen Sohn und sein Haus gesprochen hatte.
    Der Gedanke an zuhause machte ihm Angst. Er verkroch sich bei Natalie.
    – Komm … ein bisschen höher, du tust mir sonst weh …
    Ja, das wollte er nicht. Ach, ihr herrlicher Körper … die leise schmatzende Liebkosung ihrer Möse … die flachen, empfindlichen Brüste und der sparsam pigmentierte Hof ihrer Nippel … Er näherte sich ihnen, wollte sie in den Mund nehmen, an ihnen saugen, sie beißen, aber seine Füße rutschten auf dem Bettbezug aus, er rutschte nach unten, sank mit dem Gesicht auf ihren Bauch.
    Sie kicherte.

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