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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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mir: Was hat das mit uns hier zu tun? Das kalte und leblose Wort »Bahnhalbachsen« geistert heute noch manchmal durch meine Träume.
    Das Universum weiß von uns nichts. Wir werden uns in ihm auflösen wie eine zarte, unsinnig komplizierte Kristallstruktur im Wasser. Es gibt diesen Punkt, sagen wir in 3000 Jahren, an dem jedes kleinste bisschen Spur, das meine und jede andere menschliche Existenz hinterlassen konnte, ausgelöscht sein wird. Ab diesem Punkt werde ich nie existiert haben. Aber natürlich nicht nur ich, auch Shakespeare und Cervantes werden völlig ausgelöscht sein. Auch sie hat es dann niemals gegeben. Einmal ist dann keinmal. Es gibt diesen Punkt, in 3000 Jahren oder früher, an dem es uns alle nie gegeben hat.
    Dieser Punkt interessiert mich nicht.
    Es ist ein angenehmer Gedanke: Der Mensch weiß, dass er sterben wird durch die Hand der Natur, durch das Fortschreiten der Zeit, und die Natur und die Zeit wissen nichts davon. Sie spielen weiter mit dem Mobile der Planeten und nichts folgt daraus. Der merkwürdige Wissensvorsprung des Menschen verleiht ihm seine Würde. In der Einsicht in seine Lächerlichkeit erlebt der brave Sklavenclown der Natur ein paar Glücksminuten.
    Wenn es eine Art Unsterblichkeit gibt, dann muss es etwas sein, das absolut nichts mit meinem gegenwärtigen Existieren, meinem Wesen, meinen Erinnerungen et cetera zu tun hat, da all diese Dinge nur Funktionen meiner Vergänglichkeit sind. Ich habe seit langem das Gefühl, dass im Begriff von unendlicher Zeit eine zutiefst naive Fehlvorstellung begraben liegt, ein Fauxpas im redlichen, würdevollen Schilfrohr-Denken. Aber vielleicht formuliere ich diesen Zweifel allzu typisch für das Spätmittelalter des ausklingenden zwanzigsten Jahrhunderts, welches im Grunde immer noch bis zum Rand voll ist mit Gott, der zwar den Namen gewechselt hat, aber stärker, eifersüchtiger, jähzorniger und egomanischer herumspukt als je zuvor. Er ist – mein Gott! – zum Füllwort geworden und wandelt nun unerkannt und wirkungsvoll unter den Menschen.
    Ich weiß nicht, ob Mauser an einen Gott glaubt. Ich vermute eher nein, zumindest nach dem, was ihm widerfahren ist. Er hat einmal gesagt, das Unerträglichste an dem Tod eines nahen Menschen, den man über alles geliebt hat, ist, dass hinterher alles zurückbleibt. Und, so hat er weiter sinniert in dem großen Schwimmbecken an dem letzten wolkenlosen Nachmittag, den ich mit ihm verbracht habe:
Alle Überlebenden sind moralische Gewinner. Und genau daran gehen sie zugrunde
.
    Der Gedanke lässt sich sogar ausbreiten. Wenn wir die verführerische Idee von Würde, wie ich sie oben beschrieben habe, anders betrachten, sehen wir eben genau jene alte Sage vom moralischen Sieger. Die Würde, die wir gegenüber der Natur behalten, ist da, sicher, aber nur weil sie uns einfällt, als intellektueller Reflex, als Narkotikum. Nichts ist dagegen zu sagen. Außer dass die Natur ebenfalls Sieger bleibt, in ihrer eisigen, bedeutungslosen Sicht der Dinge.
    Ich war beim Tod von Anna Mauser dabei. Der Eindruck ihres Todes hat mich zu einer Geschichte inspiriert, die ich nie zu Ende geschrieben habe. Hier das Fragment.
    Das schlafende Herz der Dinge
    Die Mittelstreifen der Fahrbahn zogen unter ihnen dahin, als bohrten sie sich in den Unterleib des Autos. Der Mann hielt das Lenkrad mit einer Hand fest, die andere trommelte verloren auf seinem Knie herum. Die Frau sah aus dem Fenster.
    – Und, was meinst du?, fragte der Mann.
    – Was soll ich meinen? Widerlich, alles in allem.
    – Ja, die Krankheit. Keine Luft bekommen können und dazu die ständigen Besuche, zu denen man nett sein soll. Ist aber auch für die Besuche nicht immer leicht.
    – Das Haus ist widerlich.
    – Ehrlich, findest du?
    – Ein
Landhaus
. Ein typisches Landhaus, sogar mitein paar Stufen bis zur Haustür.
Der Tod in einem Landhaus
.
    – Na ja, Absicht war das nicht, dass seine Frau krank geworden ist. Sie war bestimmt schon vorher krank.
    – Hm?
    – Ich habe nur gemeint, sicher ist das irgendwo alles typisch … neunzehntes Jahrhundert. Das hast du doch gemeint?
    – Womit?
    – Mit
Der Tod in einem Landhaus
. So typisch –
    – Nein. Aber die Atmosphäre war irgendwie … w’soll ich sagen … irgendwie zu echt, zu sehr auf Ausstehen und Durchleben – Natürlich sind Illusionen sinnlos, aber das Ganze war doch ziemlich … alles in allem: übertrieben.
    – Das sind Schmerzen immer. Skandale.
    –
Das
war jetzt neunzehntes

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