Söhne und Planeten
Jahrhundert.
– Entschuldige, es ist halt schwer, mit einem Fräuleinwunder zusammen zu sein, mit einer Jungdramatikerin, die schon alles über den Tod weiß.
Die Glückswürfel in der Windschutzscheibe gaben der Fliehkraft einer Kurve nach.
– Blödsinn, sagte die Frau. Man kann immer nur gar nichts wissen. Aber du siehst … du siehst an der Tatsache, dass wir schon wieder streiten – daran sieht man, wie entsetzlich nervtötend diese Totenwache war.
– Sie war noch nicht tot!
– Aber nach diesen dummen therapeutischen Spielen oder was das sein soll, da wird’s nicht mehr lang dauern.
– Ich glaub, so ist es auch gedacht.
– Ja, gut. Aber du verstehst mich schon: Sie erhofft sich was davon, ihr Mann erhofft sich was, alle erhoffen sich ununterbrochen was.
– Glaub ich nicht.
Einen Augenblick unterbrach sie das unveränderte Geräusch des Motors.
– Weißt du, begann die Frau, das ist komisch: Wir versuchen uns, glaube ich, jeder von irgendeinem Gegenteil zu überzeugen, von einer Illusion loszureißen, die aber in beiden Fällen –
– Könntest du jetzt davon aufhören, bitte. Es ist ermüdend. Und es dreht sich im Kreis.
– Wenn dir schwindlig ist, dann halt eben kurz an.
– Mich nervt das Gerede um den Tod mit dir. Ich meine das nicht böse. Ich will nicht streiten, aber es bringt nichts.
– Ist ja schon gut, deutlicher musst du nicht werden. Aber ich glaube – keine Angst, ich bin schon bei einem anderen Thema –, ich glaube, dass es den anderen Paaren, die dort gewesen sind, ebenso gegangen ist. Hast du die eine Schwangere gesehen, zum Beispiel? Das ist für Pärchen, glaube ich, generell nicht so gut, zu so etwas zu gehen.
– Genau, das ist mir auch vorgekommen. Bloß hab ich mich nicht getraut, das zu formulieren.
– Da ist es doch wieder gut, mit einer Jungdra-matikerin zusammen im selben Boot zu sitzen, oder?
– Ja.
Er lachte, zum ersten Mal in dieser Woche. Woche, Jahr, Minute. Ein dicker, breitgetretener Streifen Zeit lag hinter ihm, ungenützt und brach.
–
Bis dass der Tod euch scheidet
. Ja, der Tod der anderen!, sagte sie mit einer ironischen Schauspielerhand vor der Brust.
Sie lachten beide. Aber freilich war ihr Gelächter nur im Inneren des Wagens zu hören, der mit weißen Scheinwerferaugen durch die Nacht steuerte. Von außen betrachtet, etwa vom Rand der Straße oder vom Fenster eines benachbarten Autos, sah alles ganz anders aus.
Mein Gott, die Vorstellung, dass diese Geschichte nie, nie veröffentlicht werden wird!
Wie ertragen Dichter die Isolation? Es gibt nur wenige Zeugnisse darüber, da sie ihr ja, wenn wir ihre Werke lesen können, bereits entkommen sind. Die berühmten Dichter sagen, dass sie ihre Berühmtheit vergessen müssen, wenn sie schreiben wollen. (Robert Walser zu Hofmannsthal:
Könnten Sie nicht ein wenig vergessen, berühmt zu sein?
) Aber was müssen die anderen tun, was müssen sie vergessen? Ihre Isolation oder ihr Talent? Oder vielleicht das Gefühl, auf heldenhafte Weise verkannt zu bleiben?
Ich war eine Woche lang krank. Ich konnte nicht einmal aufstehen und unruhig durch die Welt laufen, was eine der wenigen Freuden ist, die ein Scheiternder noch hat, neben seiner hartnäckigen Liebe. Aus einem solchen Stadium, das entweder mit Krankheit oder mit intensivem Lernen ausgefüllt ist, gehe ich jedes Mal im gleichen Zustand hervor: Ungeduldig, erregt und mit den sonst so wenig aufdringlichen Schönheiten der Welt in meinem Kopf. Das Hellweiß der Kirschknospen vor dem Fenster ist nicht zu ertragen.
Könnte so nicht vielleicht die Definition von Genieaussehen? Mauser hat mir nie geglaubt, dass ich Genie besitze.
Sehen wir uns einmal meine Kindheit an. Vielleicht finden wir ja da die Antwort.
Auf einem Foto, das an meinem zweiten Geburtstag aufgenommen wurde, sieht man mich vor einer großen verzierten Torte sitzen. Die Flammen der zwei Glückwunschkerzen zeigen, obwohl man sieht, wie meine Backen unter dem Druck der Atemluft aufgebläht sind, schnurgerade in die Höhe. Der Grund ist, dass ich in diesem Moment zwar kräftig anblase, aber die Lippen geschlossen halte. Ich glaube nicht, dass ich mir viel dabei gedacht habe. Auf keinen Fall war ich tatsächlich so einfältig, um nicht zu verstehen, dass nur ein geöffneter Mund Atemluft ausblasen kann. Aber wer weiß.
Eine für mich angenehmere Deutung des Bildes wäre, dass ich die schöne, unverständliche und unnahbare Kerzenflamme konservieren wollte, ohne auf das
Weitere Kostenlose Bücher