Söhne und Planeten
einsaugen und
mit hinein
nehmen in ihr Werk, sodass er darin Unheil anrichten kann. Das ist mit jedem Wort wahr in Bezug auf meine Literatur. Ich nehme den Tod in jeder Hinsicht mit hinein, aber – und das ist vielleicht entscheidend und versöhnt mich wieder mit dem bewunderten Schriftsteller – gerade so, wie ich eine Katze oder einen Hydranten am Straßenrand mit hineinnehme. Als Legostein und Tatsache. Der Tod ist in meiner Literatur nicht mehr als ein Aktenschrank, irgendwo weit weg. Er geht mich nichts und doch alles an, weil ich nicht weiß, was er enthält und wie zur Hölle ich irgendwann einmal darin Platz finden werde.
Haben Sie gesehen? So spricht nur ein unerfahrener Mann von vierundzwanzig Jahren, der noch nicht einmal alle Kontinente der Erde betreten hat, geschweige denn alle großen und wichtigen Städte. Dublin? Ich war noch nie in Dublin.
Aber der jugendliche Charme, der in dieser Unwissenheit verborgen liegt – wo ist der geblieben? Tja, weiß der Geier.
Zurück zum Tod. Es gibt einen wunderbaren Titel eines Buches mit Reiseerinnerungen des großen japanischen Dichters Matsuo Basho: »Erinnerungen eines verwitternden Skeletts auf der Heide«. Ich bewundere immer wieder die erstaunliche, unbeabsichtigt wirkende Eleganz dieser Formulierung, die den Leser vom ersten Moment an unmerklich an der Hand nimmt. Die Erinnerungen an die Reise werden uns, die wir sie lesen, zwangsläufig ebenfalls zuErinnerungen und vielleicht, wenn sie uns berühren, wie es manche der im Text enthaltenen leuchtend hellen Haikus und kurzen Gedichte mitunter tun, auch zu Erfahrungen. Und so werden wir auf sanfte Art ebenfalls zu verwitternden Skeletten, an denen die Zeit nagt.
Unser Tod ist immer sichtbar, nämlich dann, wenn wir grinsen oder lächeln. Das hervorstechende Merkmal eines Totenkopfes, sein immerwährendes Grinsen, ist im Grunde ja schon zu Lebzeiten zu sehen. Ich habe darüber zwei Gedichte geschrieben, eines davon ist miserabel, das andere ganz in Ordnung. Ich habe in beiden Gedichten versucht, dem die wunderbare Ausnahme, das neugeborene Kind, das noch keine Zähne hat, entgegenzusetzen. Der unberührte rosa Gaumen eines Kindes ist vielleicht das todesfernste Bild, das es gibt.
Es ist merkwürdig, dass die Zeit
vor
unserer Existenz für uns kein Problem darstellt. Unser unberechenbarer Tod als kulturelles Wissen ist eine Folge unserer Anhänglichkeit an die Welt, in der wir existieren. Diese Beobachtung ist nicht neu, aber sie ist es wert, wiederholt zu werden. Sobald wir Zuneigung zu etwas entwickeln, übernimmt die Zuneigung die Führung.
In seiner an allen Ecken und Enden brillanten Autobiographie »Erinnerung, sprich« beschreibt Nabokov diese Zeit davor als eine entsetzliche Vorstellung. Ich kenne allerdings niemanden, dem es ähnlich ergeht. Nabokov argumentiert, dass der Mensch zwei Unendlichkeiten, die seine türspaltförmige Existenz einschließen, nicht ertragen könne. Eine überfordert bereits grenzenlos. Vielleicht hat er Recht, dann wäre der fehlende Schrecken vor der Zeit davor eineFolge von Verdrängung oder, um in fiktiver Anwesenheit des großen Dichters ein weniger freudsches Vokabular zu gebrauchen, eine Folge der Einübung in eine gewisse Unempfindlichkeit.
Cast a cold eye
.
Demnach wäre es einfach Blindheit, die es vielen Menschen ermöglicht, beim Gedanken an die Zeit vor ihrer Existenz nichts zu fühlen als schwarzweißes historisches Interesse oder, wie im Jahrhunderte entfernten Fall des »Wessobrunner Gebets«, aufrichtiges, demütiges Erstaunen.
Die Geburt ist in den meisten Fällen für ein Lebewesen physisch und psychisch anstrengender als der Tod, trotzdem denken wir daran ohne Schauder. Wir werden uns an unseren Tod genauso wenig erinnern wie an unsere Geburt. Trotzdem ist er immer da, ein maulförmiges Ungetüm, in dem der ganze Betrug der Welt zusammengefasst ist. Vielleicht ist es eine mögliche Definition von Glück, wenn man selbst in lebensbedrohlichen Situationen an nichts anderes denken kann als an die unfaire Reaktion eines anderen Menschen beim Frühstück, an die Gesundheit seiner alten, humpelnden Hauskatze oder an die noch immer nicht in angemessenen Farben erstrahlende Gedichtzeile von gestern Abend.
Aber gut, lassen wir das.
Ein Gespräch zerreißt am leichtesten an der Stelle, da das Bekannte wie ein Handschuh über das Unbekannte gestülpt erscheint.
So wie letzte Wortwechsel mit Ernst Mauser. Endlich, nach langem Zögern, ging er selbst baden.
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