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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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einem Lichtschalter, aber da war nichts, nur die Ecken von Bilderrahmen; sie pendelten. Dann fand seine Hand ein Geländer, das ihn zurück zur Küche führte. Von da an kannte er sich aus. Er musste im Grunde nur seinem Gehör folgen, denn man hörte die Gäste bereits, ferne, wässrige Stimmen.
    Plötzlich schrie jemand, ganz in seiner Nähe.
    Wie immer, wenn er in einem dunklen Zimmer erschrak, blitzte es hinter seinen Augenlidern auf. Auer taumelte vorwärts, dann berührte ihn die fremde Gestalt. Er begriff schnell, trotz des kurzen Schwindelanfalls, ja, es konnte nur Mauser sein. Er hatte ihn nicht kommen sehen.
    – Entschuldige, ich…
    – Ach, ich hab mich erschreckt.
    Sie betasteten einander erleichtert in der Dunkelheit. Mauser legte sogar seine Hand auf Auers nackte Brust und ließ sie einen Augenblick dort ruhen.
    Gemeinsam gingen sie zurück auf die Terrasse.
    Auer ging gleich wieder zur Gruppe, sah noch einmal ermunternd und entschuldigend zu dem bleichen Mauser zurück und sah, wie dieser sich in einen Lehnstuhl fallen ließ. Armer alter Mann, dachte Auer, dabei war er selbst beinahe zehn Jahre älter als Mauser.
    Es dämmerte.
    Es wird immer später, dachte Mauser, und da drüben schwimmen sie. Reden, lachen, diskutieren. Spiegeln sich wirr im Wasser.
    Mauser blickte auf die Umgebung, in den Wäldern saß schon der Herbst, das langsame, fließende Zerstörungswerk hatte begonnen. Ewige Wiederkehr, Zeit. Konzentrische Kreise.
    In der Ferne ein paar aufgesetzte Berggipfel, unzusammenhängende Vegetation, ein Berg mit kahlen Stellen überall, wie hineingeschnitten mit einer Schere. Er fühlte sich selbst sehr weit, obwohl es ihn fröstelte. Da er in seinem Liegestuhl mit angezogenen Knien mehr lag als saß, konnte er die Landschaft durch das V seiner nackten Beine betrachten. Seine Haut, sehr nahe, und dazwischen die unscharfen Bäume und Felsflächen. Er spielte mit dem Gedanken, dass sie tatsächlich aneinanderstoßen könnten, er, das Fleisch, und das Ganze dahinter, die Natur. Ein Verdacht stieg in ihm auf, dunkel und unaussprechlich. Es war eine finstere Möglichkeit, die irgendwie mit dem Anblick der Badenden vor der abendlichen Kulisse zu tun hatte. Eine bestimmte Art von Vergeudung, eine unverzeihliche Kinderei. Ungeduld befiel ihn, er rieb sich die kalt gewordenen Handflächen, betrachtete wieder seine Knie, die bleichen Oberschenkel und seine Zehen. Der große Zeh wackelte, als besäße er einen eigenen Willen. Er strich damit über die zerfallenen Bauernhäuser hin, die auf gleicher Höhe wie sein Haus auf dem gegenüberliegenden Berghang standen. Wie ein großer Radiergummi, der die hingeworfenen Skizzen unter sich auslöschte.
    Im Grunde war das ja das Wesen der Literatur und des Künstlertums, dachte er, die ständige Selbsthypnose, bis in jenen edlen Zustand hinein, in dem man glaubt, dass man die Köpfe der Menschen einzeln pflücken oder zerreiben kann, wenn manDaumen und Zeigefinger nur nah genug ans eigene Auge hält.
    Kienspanner, Auer, Templ und Senegger, ihre Körper bildeten Silhouetten, bildeten eine Ur-Gruppe, ein altertümliches Bild, vier Männer, ineinander verschlungen, versponnen in ein Ritual. Ein Ritual, das natürlich sinnlos war, wie alles: Philosophieren, während man sich im eiskalten Wasser den Tod holt.
    Unwillkürlich hatte er begonnen zu wippen. Seine Hand lag auf dem rechten Knie, wie auf einem Schalthebel, mit dem er die Bewegungen vor und zurück steuerte.
    Mauser betrachtete die Haut auf seiner Kniescheibe. Im Grunde wie Babyhaut, dachte er, merkwürdig unberührt vom Verfall des restlichen Körpers. Flaumig und weiß, wirklich sehr hell, man sah es trotz der beginnenden Dunkelheit. Ein Lichtblick.
    Er fuhr mit dem Zeigefinger über sein Knie. Weich, glatt. Er blickte zur Sicherheit zu den Gästen hinüber. Niemand beachtete ihn.
    Schnell drückte er die Lippen auf sein Knie. Ein Kuss.
    Wie Babyhaut. Rosige, junge Insel. Inselhaut. Sehr leicht geküsst, nur angetippt, zart, wie die Berührung eines Schlangenkopfs, einer glatten Reptilienstirn.
    Sich jetzt einfach zusammenkugeln, dachte er. Rund werden, eine nackte Kugel in einer Mulde. Die Zehen in den Mund und einschlafen, bis zum nächsten Frühjahr.
    Weißlockiges Fell an den Unterschenkeln. Grauer Alterspelz.
    Schon wurde ihm ein wenig leichter ums Herz. Seine Atmung beruhigte sich, er stand auf.
    Langsam ging er auf seine Gäste zu, die ihm erfreut entgegensahen und ihm Platz machten. Er stieg, linker,

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