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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Ihm war kalt und er sagte:
Das … ist wirklich unnötig
.
    Er meinte die Kälte.

5
Die Weizenähre
    Meiner Meinung nach sind Pflanzen die Antwort auf Schizophrenie. Sie sind die Hoffnung unseres Zeitalters. Die Götter der Moderne
.
    Kobo Abe
    – Johannesevangelium, Sie erinnern sich, da wird das Wort zu Fleisch und so weiter. Angeblich ein Bild für den Schöpfer. Aber was viel naheliegender ist, ist die simple Umkehr: Zuerst Fleisch, beweglich und alles, dann hört das auf, wie immer, und dann bleibt nur noch das Wort, eine Idee, die Vorstellung davon in den Köpfen der anderen. Ein Wort wie … was weiß ich – »schade« zum Beispiel. Zuerst Körper – dann Gerede. Zuerst Bewegungen, Sport und Sex – dann »Ach, schade«.
    Karl Seneggers Hand fiel eine imaginäre Treppe hinunter und klatschte auf die Wasseroberfläche. Schwapp, Schwapp, Wasser plätscherte über den Rand, die Männer standen bis zum Bauch im warmen Wasser und Wasser schwappte, schmatzte ringsum, machte alles nass, in sanfter Wellenbewegung. Wenn sie an sich herunter schauten, schienen ihre Körper schräg, gekrümmt, sehr bleich, Vorformen von Kadavern.
    – Aber überhaupt … diese Entropie in der Kunst, von der Sie so gerne reden … der künstlerischen Individuen … Ich meine, heute ist es ja schon so,dass man immer schneller, allerdings auch in immer kleineren Zirkeln bekannt wird. Und wahrscheinlich sind wir nur ein bis zwei Jahrzehnte von einer Kunstgesellschaft aus lauter Individuen entfernt, die sich pausenlos nach allen Regeln der Ästhetik … selbst
aus-lo-ten
. Ja. Und das, ohne die geringsten Beziehungen untereinander.
    Sein Blick glitt über den Gastgeber, der im Schatten saß. Nackter Oberkörper. Dünne, weiße Mädchenarme.
    – Bald wird die künstlerische Bedeutsamkeit kaum ein paar Augenblicke dauern und die Anerkennung wird mit einem einfachen Blick in die Runde, so – Senegger blickte im Halbkreis um sich. Alle sahen ihm nach. Wälder. Herbst. Himmel. … überprüft, vollendete Senegger. Danach allerdings wird alles immer leiser werden und hermetischer.
    Templ setzte sich an den Beckenrand. Sein Strohhut war nass geworden und tropfte vor sich hin. Er blinzelte vergnügt durch die Tropfen auf den etwas in Hitze geratenen Senegger, der sich über den Blick des scheinbar uneinnehmbaren Gesprächspartners ärgerte.
    Aber man sah ihn an, man hörte ihm zu, Senegger hatte Blut geleckt. Es tat ihm wohl, wie Gymnastik, wie das Betrachten von spielenden Kindern im Hof, die unergründliche Orakel mit Kreide auf den Beton zeichneten, an ihnen entlang hüpften und sie dann einfach wieder verließen, wie die enigmatischen Grabhügel primitiver Kulturen. Gräber, Totem, Pharaonen. Es gab so viel zu erzählen. Endlich hörte ihm jemand zu.
    – Unsere Zeit – Sie verzeihen mir den salopp summarischen Ausdruck –, unsere Zeit muss eine Umbruchszeitsein, ein Übergang, den wir, die Umbrechenden, nur aus einer einzigen Eigenschaft ablesen können.
    – Die nämlich wäre?, fragte Templ.
    – Ja …
    – Sonst geht das wohl nur aus historischer Distanz –
    – Zu Ende reden lassen, das ist die Lösung, sagte Senegger schmunzelnd und nicht im Mindesten irritiert. Aus einer Eigenschaft … einer Eigenschaft nämlich … dass unser Wissen von Welt, unser epistemischer … Zustand sozusagen – nicht mehr systemerhaltend und auch nicht arterhaltend ist. Wir, Sie alle, ich, wir wissen, dass es absurd ist, geboren zu werden, zu existieren, und dass das Dasein allem widerspricht, was Naturgesetz –
    – Aber das ist ja wenig neu, bemerkte Templ.
    – Natürlich nicht, stimmte Senegger zu. Aber was ich sagen wollte …
    – Beginnt jetzt ein neuer Umbruch, meinen Sie?
    Es war zum Verzweifeln, man ließ ihn einfach nicht zu Ende reden. Sein wunderschöner Gedanke würde ihm noch verloren gehen. Lächerlicher Strohhut, Schatten über dem Gesicht. Aber er konnte nicht anders, als es herrlich finden, trotzdem.
    – Ja, ganz genau. Über das Wort selbst kann man ja streiten.
    Es entstand eine längere Pause. Geräusche des Wassers. Schwappen, Körper in Flüssigkeit, die Spiele der Trägheit und der Optik. Der Genuss des Denkens, des Austauschs, der Befruchtung. Fünf klatschnasse Körper im Gespräch.
    Senegger ging ein paar Schritte und seine Beine hinterließen kurzlebige Wellenspuren im Wasser.Sein Kopf summte. Dieser Templ führte ihn immer weiter, vom Hundertsten ins Tausendste. Gib mir mehr, gib mir Widerspruch, mehr, mehr … Gib mir

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