Söhne und Planeten
meinen Sohn zurück.
Kienspanner hatte fast die ganze Zeit geschwiegen und nur zugehört. Die entsetzliche Schönheit des jungen Mannes, der in der Ecke des Schwimmbeckens saß, wollte nicht aufhören, ihm aufzufallen.
Karl Auer stand unterdessen vor dem Badezimmerspiegel. Der eine Spiegel genügte offenbar nicht, denn er hielt einen zweiten, geputzten runden Taschenspiegel vor sich. So konnte er, wenn er den Kopf schräg hielt, das Innere seines Ohrs betrachten.
Er war ins Haus gegangen, nachdem er untergetaucht war, um sich zu kontrollieren. Jeden Abend musste er das tun, denn sonst konnte es zu peinlichen Zwischenfällen kommen.
Normalerweise stellte sich Auer jeden Tag in der Früh vor seinen Spiegel. Zerzauste Haare, unrasiert, manchmal noch zuckende, vor Müdigkeit flatternde Lider. Bevor er sich mit seinem restlichen Erscheinungsbild befassen konnte, gab es da noch eine heikle Sache, um die er sich unbedingt und immer als Erstes kümmern musste.
Dazu gebrauchte er eine kleine Metallschere.
Eine einsame Weizenähre, deren Herkunft rätselhaft blieb, wuchs seit einigen Jahren aus dem Ohr des Poeten. Anfangs hatte er darüber gelacht, dann scherzhaft versucht, sie auszureißen, und war vor dem herben Schmerz zurückgeschreckt. Sie schien stark verwurzelt. Worin? In seinem Gehirn? DasAbschneiden, das Zurechtstutzen jeden Morgen geschah zwar ohne Schmerzen, verlangte aber einige Übung und Fingerspitzengefühl, da er mit der scharfen Klinge recht weit in den Gehörgang vordringen musste. Wenn er es ordentlich hinbekam, wenn die altersschwache Hand nicht zu viel zitterte bei ihrer Millimeterarbeit, war bis zum frühen Abend auch kein Nachwuchs mehr zu sehen und zu befürchten. Zu späteren Tageszeiten musste er allerdings, ob er wollte oder nicht, ein zuverlässiges Paar Ohrenschützer tragen. Jetzt, im fremden Badezimmer, dachte er an die Möglichkeit einer Badehaube, und er ärgerte sich, dass er daran nicht früher gedacht hatte.
Das Alter, die Natur, die ihn langsam zu ihresgleichen machte, mit jedem vergehenden Tag, spielte ihm üble Streiche.
Einmal, vor ungefähr zwei Jahren, war er am Morgen aufgewacht und hatte gespürt, dass seine Beine nicht mehr recht beweglich waren. Er schaute um sich und stellte fest, dass er bis zum Rumpf in brauner Erde steckte. Auch seine Hände hatten sich verändert, sie besaßen kleine Drüsen, aus denen Pflanzensaft sickerte. Gleichzeitig bemerkte er, dass er gar nicht mehr in seinem Bett lag, sondern im Garten vor seinem eigenen Haus aufgewacht war.
Plötzlich hörte er eine Stimme.
– Eine überaus seltene und kostbare Pflanze.
Männer kamen, sprachen über ihn, berührten ihn, nahmen Proben. Er wehrte sich, aber er konnte sich kaum bewegen, nur wenn der Wind günstig war. Sie schnitten die Spitze seiner Nase ab und legten sie unter ein Mikroskop.
Auer wollte brüllen, aber es gelang ihm nicht. SeinMund saß an der falschen Stelle, sehr weit unten, und es erfüllte ihn mit lähmender Scham, ihn zu gebrauchen. Ein Stromstoß durchfuhr ihn und – er lag wieder in seinem Bett. Die Leuchtzeiger des Weckers blickten ihn an.
Er bewegte sich ein wenig und bemerkte, was geschehen war. Der ganze Rücken… er hatte sich von oben bis unten angeschissen. Der Gestank war entsetzlich. Wozu quälte man ihn so?
Endlich hatte er den Winkel des Hilfsspiegels so eingerichtet, dass er nun ins Innere seines Ohrs sehen konnte. Nein, alles ruhig. Er hatte bestimmt noch ein paar Stunden. So schnell wuchs der Weizen nicht nach.
Die Erinnerung an die entwürdigende Szene in seinem Bett – er hatte die ganze Matratze wegwerfen und eine neue besorgen müssen – rief ihm seine Verdauung ins Bewusstsein. Er setzte sich aufs Klo. Ein unklares Druckgefühl im Bauch ließ ihn kurz hoffen … nein, es kam nichts … der Druck gehörte zu etwas anderem.
Manchmal, wenn er badete oder irgendwo länger im Wasser war, konnte es passieren, dass ihm ein wenig Wasser in den Hintern lief, wenn er sich bückte oder sonst irgendwie krümmte. Es war entwürdigend, ein unangenehmes Gefühl. Aber es half ihm auch, wenn er aufs Klo gehen wollte, hinterher. Trotzdem war es lächerlich, einfach so vollzulaufen, wenn man nicht aufpasste. Wie eine Kuh, dachte er.
Nein, nichts zu machen. Er erhob sich vom Klodeckel, sah zur Kontrolle in die grün-weiße Schüssel. Nichts. Zur Sicherheit tupfte er sich dennoch mit Klopapier ab.
Alles erledigt, nun konnte er wieder unter Leute gehen.
Im Gang tastete er nach
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