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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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aber – Das würde keinen Sinn ergeben, wenn ich dir … das …
    Er wurde immer langsamer. Irgendwoher war ein kurzes Stück Seil gekommen, dass das Tier nun im Maul hielt, und Jan musste daran ziehen und zupfen. Der Hund zerrte konzentriert am anderen Ende und ließ Jan am Ende gewinnen.
    – War seine Mutter auch dabei?, fragte Thomas ohne große Hoffnungen, dass seine Anwesenheit bemerkt werden würde.
    – Nein. Sie ist, glaub ich, nicht ganz astrein.
    Thomas wusste, was gemeint war.
    – Dumme Gerüchte, sagte er.
    Jan schüttelte den Kopf. Worüber, ließ sich nicht genau sagen. Der Hund schüttelte sich ebenfalls, seine zotteligen Ohren flappten gegeneinander wie die Flügel einer aufgescheuchten Taube. Jan kicherte kindisch über den Anblick. Die Hauptsache, dachte Thomas, die Hauptsache noch, dann gehe ich. Ich will nicht mehr. Spurensuche, meinetwegen, aber ein solches Leben, bunt, bekifft und nun dieser Köter.
La vie – neutre?
    – Geschieht ihm ja recht, sagte Jan plötzlich sehr ernst. Geschieht ihm recht. Nach allem, was er dem Victor angetan hat. Alle finanziellen Unterstützungen gestrichen, nur weil –
    – Ja, ich weiß.
    – Nur weil er ein Kind … wie sagt man? Adoptieren ist doch falsch.
    – Ich weiß auch nicht.
Annehmen
wahrscheinlich.
    – Ja, ja, genau das. Ein richtiges Schwein … Ja, mein Lieber, Guter.
    Ein liebes, gutes Schwein. Die Hauptsache, die Hauptsache.
    – Habt ihr … habt ihr eigentlich noch irgendwelche Texte von ihm?
    Jan streichelte den Kopf des Hundes, die Ohren gaben nach, der Kopf wippte im Takt der Liebkosung. Jan näherte sein Gesicht dem des Hundes und flüsterte ihm eine Antwort ins Ohr. Thomas wiederholte seine Frage.
    Jan schien etwas irritiert.
    – Weiß ich jetzt nicht, müsste ich nachschauen. Deswegen bist du doch nicht gekommen?
    – Nein, sicher nicht. Nach allem, was passiert ist.
    Thomas verabschiedete sich. Als er seine Schuhe anzog, sah er in der Küche das Mädchen sitzen, still und brav, wie ein Traum von Vermeer. Er fragte sich, wie lange es gedauert haben mochte, bis Jan eine neue Freundin gefunden hatte, nachdem die alte … Er erinnerte sich an das eine Mal, als er Nina mit Victor gemeinsam erlebt hatte.
    – Ich werde aber immer der sein, der diese Geschichte zu Ende geschrieben hat. Das kann mir niemand nehmen, weil ich der Erste war.
    – Aber ob das reicht?, hatte Nina gesagt. Ihr Sohn hatte im Nebenzimmer mit einem Stapel Geschichtsbücher gespielt.
    – Eine gewaltige Leistung war es vielleicht nicht … sicher nicht. Aber es ist für alle Ewigkeit
meine
kleine, bescheidene Leistung.
    – Gut, ich denke, ich hab’s kapiert.
    – Meine Festung ist vielleicht zu klein, um darin zu leben. Aber sie ist immerhin uneinnehmbar.
    – In Ordnung, ich sehe schon –

Thomas und Nina
    J ULIENHEIM ,
Betreute Wohnungen für Frauen, Leiterin: Maria Wenz
. Ein Messingschild, sehr hell, beinahe ein Spiegel, mit einem einzigen Schönheitsfleck: einem eingetrockneten Tropfen Taubendreck. Außerdem waren die Mundwinkel des freundlichen Buchstabens U ein wenig eingerissen.
    Im Hof des Hauses sah Thomas ein paar Kinder, die mit bunten Kreiden etwas auf den Beton gezeichnet hatten. Er versuchte zu erkennen, was es war, und trat näher. Aber als die Kinder ihn kommen sahen, gerieten sie in unerklärliche Aufregung und kippten einen Eimer Wasser über ihre Zeichnung. Thomas blieb verdutzt stehen. Er drehte sich um und ging zum Treppenaufgang. Ein kleines Kreidestück traf ihn an der Schulter.
    Im zweiten Stock eine schweigsame, stille Wohnung, so still, als schliefe in einem der hinteren Zimmer eine uralte, schwerkranke Mutter.
    – Hallo …
    Thomas hörte ein Klopfen. Er entdeckte ein kleines Fenster, dahinter eine Frau. Sie saß in einer kleinen Kabine, die ein wenig an eine Telefonzelle erinnerte, und war wohl so etwas wie die Sekretärin.
    – Ich wollte, Herr Scheucher … ist er vielleicht schon da?
    – Warum?, fragte die Empfangsdame.
    – Er müsste eigentlich gleich Dienst haben. Ich hab im Internet nachgesehen.
    Die Sekretärin schenkte ihm einen Sie-scheinen-sich-ja-gut-informiert-zu-haben-Mr-Marlowe-Blick, der sich aber gleich in einem Lächeln auflöste. Sie sah plötzlich so liebenswürdig und jung aus, als hätte sie gerade erst eine Einladung zum Ball abgelehnt, aus Gründen des Altersunterschieds, sonst nichts.
    – Warten Sie bitte, sagte sie.
    Ich warte, dachte Thomas und setzte sich auf einen Sessel. Ich warte, Thomas wartet. Tom

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