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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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zusammen, gönnte sich, erlaubte sich eine semantische Verschnaufpause.
    In diesem Augenblick hörte Victor für ein paar Sekunden zu atmen auf. Ein kleiner, samtweicher Hohlraum öffnete sich in der Dunkelheit, ein Burgplatz, eine Nische in Sand und Geröll.
    Dann sprang die Atmung wieder an, war wieder da, Hamster im Laufrad, und es wurde wieder hell.
    Nachdem man Victor, quer über das Auto seines Vaters gestreckt, gefunden hatte, weinte der alte Mann. Dieses kleine Detail hatte Jan erwähnt. Aber woher er das zu wissen glaubte, blieb unklar. Er wollte seine Quelle ja nicht preisgeben.
    Später, im Krankenhaus, war Victor an seinen Kopfverletzungen gestorben.
    Ein Geistlicher besuchte ihn aus Versehen kurz vor seinem Tod. Der Pater bemerkte den falschen Namen auf dem Krankenblatt des Patienten und bat um Verzeihung.

Thomas und der
Bau
    Was soll dieses ganze Gejammer, dass Kommunikation zwischen zwei menschlichen Wesen nicht möglich ist? Dass man nur ewig um den anderen herumgehen kann, ohne ihn je zu begreifen? Schaut euch nur meinen Sohn an. Ich sage zu ihm: Hau dir auf den Kopf! Und er geht zum Tisch, greift sich eine Heftklammermaschine und drückt, nein, klopft sich damit das linke Auge aus: Das ist Kommunikation!
    v. s.
    Thomas las den dicht beschriebenen Zettel, den ihm Nina gegeben hatte und auf dessen Rück- oder besser Vorderseite – je nach Wertschätzung der verschiedenen Inhalte – ein Aufruf zur Wahlbeteiligung stand, ein zweites Mal langsam und aufmerksam durch:
    … Solange ich nichts von ihm wusste, kann es mich überhaupt nicht gehört haben, denn da verhielt ich mich still, es gibt nichts Stilleres als das Wiedersehen mit dem Bau, denn als ich die Versuchsgrabungen machte, hätte es mich wohl hören können, trotzdem meine Art zu graben sehr wenig Lärm macht; wenn es mich aber gehört hätte, hätte doch auch ich etwas davon bemerken müssen, es hätte doch wenigstens in der Arbeit öfters innehalten müssen und horchen, aber alles blieb unverändert, das Tier war entweder nicht da oder es hatte seinerlangen Anstrengung endlich erliegen müssen und war, wie in diesem Moment ich selbst beinahe, eingeschlafen in irgendeinem unauffälligen Winkel des Grabens. Mein ganzes Horchen, Lauschen und versuchsweise gegen die frisch aufgeschüttete Erde Stoßen mit meinen inzwischen schon etwas ermüdeten Pfoten hat mich zu keinem Ergebnis gebracht, im Gegenteil, die vielgestaltigsten Deutungsmöglichkeiten, eine gefahrvoller als die andere, wie mir scheint, heben sich klar und deutlich vor mir in der Dunkelheit ab.
    Aber eine andere Überlegung, die mir schon damals in den Sinn kam, als ich noch mit einer kaum als tatsächliches Gefühl identifizierten Mischung aus Vorfreude und Bescheidenheit an der Urform des Burgplatzes geschabt und gegraben hatte, schien stärker und leichter annehmbar als die anderen zu sein: Ich konnte es doch auch mit einem Tier von solcher Art zu tun haben, dem der Gehörsinn, der, wenn man es genau nimmt, ja die Quelle meiner ganzen gegenwärtigen Selbstrettungsversuche ist, gar nicht gegeben ist, das sich also völlig orientierungslos durchs Erdreich gräbt, womöglich dazu verdammt ist und gar nicht so viel dafür kann, wie ich ihm in meiner Panik unterstelle. Dann freilich ist auch, wie in all den anderen Möglichkeiten, eine Hoffnung auf Verständigung mit dem Wesen nur eine weitere Selbsttäuschung.
    An der empfindlichsten, prachtvollsten Stelle des Burgplatzes, nämlich auf seiner
    Ausgerechnet an der empfindlichsten Stelle des Burgplatzes, am höchsten Punkt seiner kuppelartigen Rundung, befand sich der Unglückspunkt. Feine Erde rieselte daraus hervor, indessen sich dasZischen nun hörbar verstärkte, was ich mit rätselhafter, selbstzerstörerischer Erleichterung feststellte. Ein fingergliedartiger Fortsatz erschien in dem Loch, etwas wie ein eingeklemmter zappelnder Wurm, ein tastender Rüssel oder ein herumdeutender Finger; vielleicht aber war es auch nur der Schwanz des Eindringlings, also der Hinweis auf einen rein versehentlich erfolgten Durchbruch. Trotz dieser Möglichkeit sammelte ich alle meine Kräfte für den ersten notwendigen Verteidigungsschlag. Die Bewegungen über mir nahmen zu, gleich würde es zu mir durchbrechen, aus seiner jahrelangen [Mehrere Wörter unleserlich]
    Ich stellte mich direkt darunter, dabei schirmte ich mit beiden Pfoten mein Gesicht ab, als erwartete ich aus der Öffnung hervorbrechendes Licht.
    Und das war alles. Victor hatte sein

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