Söhne und Planeten
willst es nicht glauben, aber die Frauen sind so: Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen. Das entspricht … das ist ihre Na
tur
, das wird auch dir nicht erspart bleiben.
– Es sei denn, ich bin schwul.
Der Vater verzieht das Gesicht. Ein Fisch, der nach Luft schnappt.
– Das bringt wirklich überhaupt nichts. Das ist eben … da zeigt sich halt, dass du ihr Sohn –
– Deiner bin ich auch. Da kannst du machen, was du willst. Bei der Gelegenheit, erinnerst du dich an den Silvesterabend 1998?
– Sieben Jahre her!
– Zitat: Du bist nicht mein Sohn. Ich habe keinen Sohn! – Eine Bierflasche fällt dir aus der Hand – Ich will keinen Sohn haben! Warum hat
sie
dich unbedingt bekommen müssen! Zitat Ende. Warum hast du mich eigentlich nicht im Schlaf erdrosselt, irgendwann, als ich noch klein war? Oder mich einfach im Badewasser ertränkt? Das wäre doch eine elegante Lösung gewesen. König schlägt Bauer. Sag mir, ist das nicht elegant?
Das Kopfschütteln des alten Mannes – in ihm steckt etwas so Grausames, in der langsamen Hin-und-her-Bewegung des Kopfes … die Halsmuskulatur, die Sehnen, die rötliche Haut unterhalb der Ohren. Ein Schlachter, ein Metzger. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als ihn zu reizen, denkt Victor. Einfach aus dem Haus gehen kommt nicht mehr in Frage.
–
Ihr
Sohn, das bedeutet: Ohne Logik, nicht wahr, ohne den
schneidigen
Respekt vor seinem
schneidigen
Vater. Wie gerne wäre ich homosexuell. Zu gerne würde ich dein Gesicht sehen, deine kindische Wut!
– Hör auf, du solltest wirklich mehr Respekt –
– Respekt, in Ordnung. Du Prinz. Du Heiliger.
– Hör auf, sag ich!
– Du Held. Männlich –
Er macht einen Schritt in seine Richtung. Victor fühlt, wie sich die Luft gegen ihn wölbt.
– Du Engel. Du kleiner ehrlicher Arbeiter. Du Mann.
Etwas pfeift durch die Luft, dann schlägt es dumpf gegen sein Gesicht. Victor taumelt zur Seite. Blut tropft ihm in die Hand. Triumph! Brennender, beißender Triumph! Er möchte am liebsten weinen vor lauter Triumph.
– Drecksau, sagt sein Vater.
Die Lippe, blutig. Blut, überall, auf dem Handgelenk. Blut auch auf den Zähnen. Und dieses schreckliche Grinsen.
Er drängt Victor auf die Seite, rennt ins Vorzimmer und reißt mit absurder Anstrengung die kleine Stehleiter aus dem Schrank unterhalb des Telefons. Damit rennt er ins Wohnzimmer und klettert langsam hinauf zu den Koffern, die auf dem obersten Regal übereinandergestapelt liegen. Er zerrt das rote Ungetüm, das sich wie alles im Leben gegen ihn wehrt, herunter und wirft es auf den Boden. Die Leiter zittert, als er von ihr herunterspringt. Er tritt sie auf die Seite. Und er kramt wahllos – je wahlloser, desto besser – Dinge aus dem Kleiderschrank, Dinge, die er gar nicht näher identifiziert in seiner Wut und seinem Stolz.
Er steht vor dem offenen Kasten. Seine Beine tun weh, vom Treppensteigen und Treten. Dass ich so weit gekommen bin, denkt er. Und wie leid ihm sein Leben tut, jetzt auf einmal, da seine leeren Gesten aufgebraucht sind, so leid, dass ihn alle verlassen haben. Er möchte weinen um sich, um sein Elend, um die Ungerechtigkeit. Niemand mehr da. Keiner. Die Frau fort. Und der
Sohn
. Jahrelang hat man ihm dieses Wort vorgelegt wie ein Dokument, das er unterschreiben soll. Einen Lebensvertrag. Vater.
Dein Sohn, schau, dein Sohn. Sag Hallo
.
Wie die Irren. Als wäre er eine Marionette.
Er lauscht. Ist er noch da? Er wird doch nicht blutend aus dem Haus gerannt sein.
Er zerrt den Koffer in den Vorraum.
Die Wohnung ist ganz still. Vorzimmer. Studierraum. Küche.
Und da entdeckt er plötzlich – so muss es gewesen sein – das offene Fenster und geht hin, um es zu schließen.
Victor staunte darüber, dass er immer noch denken konnte, auch wenn sein Denken inzwischen bereits in mehreren Stimmen verlief. Seine Kiefer waren beinahe gelähmt, was ihn beim Aufwachen am meisten geärgert hatte, aber in seinem Kopf, in dem blutigen Überrest seines Kopfes – er wusste sehr wohl, erfrischende Zitronen hin oder her, was mit ihm passiert war –, in seinem zermanschten Schädel wurden immerhin noch dieselben Erinnerungen verwaltet.
Der Wagen. Klein wie ein zertretener Käfer, von oben betrachtet … Bestimmt war die Windschutzscheibe geborsten. Wie die dünne Pfirsichhaut auf seinen Lippen, die endlich die Wahrheit gesagt hatten … Du
Mann
– Triumph … Autoscheibe und Lippe … beides war, für einen kurzen Augenblick, dasselbe, ließ los, fiel
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