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Söhne und Planeten

Söhne und Planeten

Titel: Söhne und Planeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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später. Wenn eine Schwester auftaucht, irgendwann einmal.
    Warum lag er eigentlich auf dem Rücken? War das wirklich die ungefährlichste Art, seinen Körper zu betten? Sein Kopf drohte, sich jeden Augenblick vom Körper, der da schlaff und kraftlos vor ihm lag wie eine Luftmatratze, zu lösen und nach hinten,
ewig
nach hinten zu fallen.
    Da, er tat es. Schwindel, ewiges Rückwärtsdrehen.Er blinzelte, um die Bewegung zu stoppen. Aber vergebens. Er fiel.
    Liftschwindel
. Die Decke bleibt unbeweglich, aber der Kopf sendet
Ich falle nach hinten
als Signal durch die im Augenblick für jeden Unsinn empfänglichen Nerven.
    Wir alle fallen
.
    Wenn das nicht gleich aufhört, rufe ich um Hilfe, dachte er. Sein Kopf schien mit dem Polster verschmolzen zu sein. Wenn er sich von ihm löste, konnte es sein, dass ein Stück der Kopfhaut einfach kleben blieb? Ihn schauderte bei dieser Vorstellung.
    Die Gänsehaut kämpfte sich den schweren, betäubten Nacken hinauf, aber kurz vor dieser leeren Stelle, die völlig taub war, verebbte sie. Der eigene Hinterkopf als Fremdling, Gefahrenzone.
    Victor betrachtete seine Zehen. Er hatte einige Mühe, sie unter der entsetzlich schweren Decke hervorzuholen. Als er sie schließlich sah, fühlte er fast so etwas wie Freude. Sie glotzten ihn mit komplizenhafter Dummheit an, kleine Dioden mit roten Köpfen. Astronautenhelme.
    Tief in ihm hallte das Gewitter, das sich zwischen seinem Vater und ihm kurz vor Einbruch der Dunkelheit entladen hatte, noch nach.
    – Warum soll ich mit dir reden? Du kommst zu
mir
mit deinen Problemen und streichst mir gleichzeitig alle – Ich kann dir nicht helfen.
    – Ich wusste nicht, dass sie das so verrückt machen würde! Es hat mich halt geärgert –
    – Das brauchst du mir nicht zu sagen.
    – Dabei erinnere ich mich jetzt. Sie ist draußen gesessen vor meinem Zimmer. Auf dem Boden. Weilsie nicht schlafen konnte. Ja, sie hat auf mich gewartet. Die ganze Nacht. Hat nicht schlafen können. Wie eine Irre.
    – Irre? Du darfst dich über Asthmatiker lustig machen, du darfst tagelang wegbleiben, unerreichbar, souverän, männlich … Ist das deine Logik?
    – Du redest wie ein Schwuler!
Männlich
, hör doch auf!
    – Schwul?
    – Es gibt im Leben mehr als – aber das weiß ich erst jetzt. Erst wenn man so alt ist wie ich, dann … sieht man gewisse Dinge. Dass es Lösungen gibt … nein, dass es Dinge gibt, die man nicht lösen kann. Zum Beispiel deine Mutter. Dass sie so lange im Büro bleibt, bis spät in die Nacht Dokumente abtippt … da stimmt was nicht. Wenn man so alt ist wie ich, dann sieht man das.
    – Warum … wenn du in deinem Kopf die Wahrheit ohnehin schon festgestempelt hast, warum quälst du sie dann noch? Sie hat dich verlassen und sie hat kein Verhältnis, schon gar nicht mit irgendeinem Kollegen. Also kann sie dir auch nicht sagen, was du hören willst.
    – Es kann doch nicht sein, dass man mich einfach wegschmeißt. Was war denn schon?
    – Was war? Du hast sie beschimpft, jeden Tag, du hast sie herumgestoßen. Du hast sie die Treppe hinuntergeworfen.
    – Soll ich dir sagen, was schlagen ist? Soll ich?
    – Du machst mich krank.
    – Dagegen ist das … dass einmal das Geschirr fliegt und weiß der Teufel was –
    – Oh, bitte.
    – Und was
meine
Mutter erst aushalten musste!
    – Eine Heilige! Deine Mutter.
    – Deine Großmutter immerhin!
    – Und damit ist jede Diskussion zu Ende? Wenn es um deine heilige Mutter geht, die sich nicht einmal getraut hat, ihren gebrochenen Arm schienen zu lassen, weil ihr Ehemann, dieses Schwein, ihr vorwirft, sie ginge dann wie eine feine Dame – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, wie eine
feine Dame
herum, wenn sie den Arm in der Schlinge trägt …
    – Damals war das anders. Du kennst das nicht mehr, weil es dir gut geht, weil du in deiner Traumwelt –
    – Das ist sehr schön, meine Traumwelt! Und wie lange bin ich denn schon in meiner Traumwelt? Vielleicht seit ich beschlossen habe, von zuhause fortzulaufen, weil du –
    – Du bist genau wie
sie
, du vergisst auch nie irgendetwas! Alles … alles müsst ihr auf die Goldwaage legen!
    – Goldwaage? Zitat: Deine Mutter ist gestern gesehen worden, wie sie aus dem Kino gekommen ist. Da stimmt was nicht. Zitat Ende.
    – Es hat überhaupt keinen Sinn, mit dir zu reden. Ihr wollt mich alle raushaben, loswerden! Das ist es. Platz für den Nächsten, das ist so klar wie der Tag.
    – Dein Selbstmitleid kotzt mich an.
    – Du

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