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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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zu sagen, dass der Ermordete ein Mitglied der Polizei war?«
    »Ich schwöre, dass ich gefragt habe, aber sie haben nichts gesagt, Herr Kommissar.«
    Na, wie er uns gleich verriet, dieser Inbegriff der Macht und des Mutes. So eine Schande, dachte ich bei mir. Doch so glimpflich würde er wohl bei seinem Vorgesetzten nicht davonkommen. »Was heißt, sie haben nichts gesagt? Begreifst du, was du das redest, Adem? Das wirst du dem Hauptkommissar erklären müssen.«
    »So war das nicht, Herr Kommissar«, stammelte unser Freund und Helfer und machte einen Schritt auf ihn zu. Keine Spur mehr von der Protzerei, als er zu seinem Kollegen gemeint hatte, er sei schließlich nicht sein Kindermädchen. Er schien, als würde er beim geringsten Antippen in Tränen ausbrechen. Wenn wir nicht dagewesen wären, hätte er sich mit Sicherheit seinem Kommissar vor die Füße geschmissen. Wie konnte ein Mensch, wenn er einmal in eine solche Situation geraten war, jemals wieder in den Spiegel sehen? Wahrscheinlich genauso, wie Hunderte Millionen andere Menschen es auch taten.
    »Wenn wir hier fertig sind, würden wir gern gehen. Seine Mutter wird sich sicher Sorgen machen«, sagte mein Vater. Offensichtlich hatte auch er genug davon, diesen »innerfamiliären« Zwist mit anhören zu müssen.
    Onur Çalışkan fuhr sich tief seufzend durchs Haar. Wir sollten merken, dass er sich bemühte, seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bringen. Diese Tricks lernen sie alle aus amerikanischen Filmen. »Entschuldigen Sie, wir sind noch nicht ganz fertig. In fünf Minuten können Sie gehen. Die Kollegen werden Sie nach Hause bringen. Erzählen Sie mir bitte alles, was Sie über Hicabi Bey wissen.«
    »Wir sind aber schon seit einer Stunde hier, und ich habe mein Päckchen zu Hause vergessen«, meinte mein Vater und klopfte auf seine Taschen.
    Der tapfere Sheriff sprang auf, bot meinem Vater eine seiner Samsun-Zigaretten an und gab ihm Feuer. »Sie rauchen doch nicht, stimmt’s, Herr Kommissar?«
    »Ich bin Nichtraucher«, antwortete Onur Çalışkan.
    »Besonders gut gekannt haben wir Hicabi Bey eigentlich nicht«, begann mein Vater und blies dabei den Rauch in die Luft. »Wir haben bestenfalls hin und wieder ein paar Sätze mit ihm gewechselt. Wenn wir uns auf der Straße begegnet sind, haben wir uns gegrüßt. Das war’s. Er lebte allein. Er hatte eine weitaus jüngere Ehefrau, aber sie ist vor zwei, drei Jahren gestorben. Ich glaube, bei einem Verkehrsunfall. Und sein älterer Sohn ist Offizier. Außer an den Wochenenden und in den Ferien sieht man ihn kaum. Der zweite Sohn hat irgendwo außerhalb von Istanbul einen Studienplatz erhalten, aber wenn Sie mich fragen, wo, dann kann ich Ihnen das nicht sagen.«
    »Die Namen der Söhne?«
    »Der große heißt Şemi, der jüngere Rebi«, sagte ich. Das sind Namen von der Sorte, die man sein Lebtag nicht vergisst. »Rebi studiert an der Uludağ-Universität. In Bursa.« Rebi war der Mensch mit den schrägsten Ideen, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Er machte beispielsweise aus einem Regenschirm einen Fallschirm und sprang damit aus dem dritten Stock. Wir unterhielten uns ein-, zweimal mit ihm. Von ihm lernte ich auch, dass es einen Geheimgang gab, der die Kohlenkeller vieler Wohnhäuser miteinander verband. Seiner Aussage nach machte ein vor Jahren aus welchem Grund auch immer angelegter unterirdischer Tunnel es sogar möglich, an manchen Stellen von einer Straßenseite auf die andere zu gelangen. Wer weiß, wie sehr er sich angestrengt hatte, um eine riesige Karte dieses Gebiets anzulegen.
Top secret
hatte er mit Filzstift darauf geschrieben. Tag und Nacht arbeitete er an Fluchtplänen und Projekten, falls griechische Soldaten einfallen sollten. So eine krankhafte Angst hatte er vor den Griechen.
    »Kennen Sie denn jemanden, bei dem wir detailliertere Auskünfte über Hicabi Bey einholen könnten?«
    Mein Vater nannte ihm die Namen einiger Nachbarn und den des Krämerladenbesitzers. Mit Yakup hatte der Verblichene nämlich in der Tat häufig geplaudert. Besser gesagt, Hicabi Bey quasselte über die Lage der Nation, und Yakup nickte dazu.
    Nachdenklich wandte sich Onur Çalışkan an mich. »Konntest du feststellen, ob die Tür aufgebrochen wurde oder nicht?«
    »Ich habe nicht besonders darauf geachtet, aber ich kann mich an nichts erinnern, was auf einen Einbruch schließen lassen könnte.«
    »Wenn das stimmt, dann hat er den Mörder … Wie war sein Name?«
    »Verrückter Ertan«,

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