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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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ihr Herz hatte er sich wohl ansehen müssen. Ich meine, dieser Selbstmord zielte nicht darauf ab, aus dem Leben zu scheiden, sondern in einer bestimmten Form weiterzuleben. Mit anderen Worten: Auch wenn ihr Körper starb, so würde ihr geistiges Sein das des Doktors bis zu seinem letzten Atemzug begleiten.
    Mein Vaters riss mich mit einer Frage aus meinen Gedanken. »Gebundenes Spiel in der Musik, sechs Buchstaben, der dritte ist ein G.«
    »Legato«, antwortete ich.
    Der lange Arm des Gesetzes warf durch seine riesige Brille einen kurzen Blick zu mir herüber. Die Fragen meines Vaters waren noch nicht zu Ende. »Gesättigter Kohlenwasserstoff, der letzte Buchstabe ist ein N.«
    »Ethan.«
    Der Rächer der Gerechten und gnadenlose Feind aller Bösen räusperte sich geräuschvoll und fragte mich brüsk: »Wie alt bist du?«, als wollte er herausfinden, ob ich den Mord begangen hätte.
    In meiner nervtötendsten Art sah ich ihm etwa zehn Sekunden schweigend in die Augen, dann wandte ich mich an meinen Vater: »Papa, wie alt bin ich?«
    Mein Vater grinste verschmitzt. »Fünf.«
    Ich zeigte dem glühenden Verfechter der Gerechtigkeit drei Finger meiner linken Hand. »Im Namen des Gesetzes, fünf.«
    Die eiserne Faust im Samthandschuh drehte sich zu meinem Vater und brummelte: »Was ist das denn für ein komisches Kind?«
    »Genau so ein komisches Kind ist er«, erwiderte mein Vater und drehte seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern.
    Die folgende halbe Stunde verging damit, dass der Mann des Gesetzes das Telefon auf seinem Tisch nach dem zwanzigsten Klingeln mit einem drohenden »Hallo« abhob und eine schleimige Unterhaltung begann, nachdem er gehört hatte, dass der Anrufer ein Kumpel war; gleichzeitig waren von draußen unerfindliche Geräusche zu vernehmen. Dann ging die Tür auf und der einsame Krieger sprang mit einem Satz auf die Füße. Nebenbei versuchte er panisch, seine Zigarette im Aschenbecher auszudrücken. »Herr Kommissar!« Der junge und großspurige Polizist, der den Helden des Volkes derart in Aufregung versetzt hatte, grüßte uns mit einem Kopfnicken und ging zu seinem Tisch. Währenddessen zupfte der Hüter unseres Eigentums und Lebens an seinem Jackettsaum und erstattete Bericht. »Herr Kommissar, im Zusammenhang mit dem Mord, Herr Kommissar … Das sind Zeugen, Herr Kommissar. Der Junge hat den Mord gesehen, Herr Kommissar.«
    »Ist schon gut, man hat mich telefonisch informiert«, sagte der gerade Eingetroffene. Er streckte meinem Vater die Hand entgegen und stellte sich vor. »Kommissar Onur Çalışkan. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
    »Wenn Sie gestatten, hätte ich zuerst eine Frage an Sie«, meinte mein Vater.
    Der junge Beamte sah ihn erstaunt an. »Ja, bitte?«
    »Wie ging das Spiel aus?«
    »Beşiktaş unterlag mit 4:1«, antwortete der Kommissar mit verkniffener Miene.
    Nachdem sich die Sicherheitskräfte voller Respekt die Flüche meines Vaters auf die Spieler, den Vorstand, die Farben und die Geschicke seines geliebten Vereins angehört hatten, begannen sie mit ihrem Procedere. Nach der Feststellung der Personalien, der Adresse und sonstiger Details erzählte ich alles, was ich wusste. Allerdings erklärte ich ihnen, dass ich allein vor dem Haus gesessen hätte, als die Gegenstände aus Hicabi Beys Wohnung herabzuregnen begannen. Ich wollte Alev Abla nicht unnötig in diese Dinge verstricken.
    »Und was hattest du um diese Zeit draußen zu suchen?«, fragte Onur Çalışkan.
    »Ist das etwa verboten?«, schoss ich zurück. Ich mag Leute nicht, die ihre Nase in meine Angelegenheiten stecken.
    Der Knabe wurde allerdings nicht grob, wie ich erwartet hatte – ganz im Gegenteil, er stieß ein Gelächter aus. »Hat es was mit einem Mädchen oder so zu tun? Damit wir hier klar sehen.«
    Bestimmt wurde ich puterrot. Sofort schaltete sich mein Vater ein. »Manchmal treffen sie sich abends mit den Freunden vor der Tür.«
    Onur Çalışkan sah mich fast liebevoll an. »Und mit wem warst du heute Abend zusammen?«
    »Wie gesagt, heute war ich allein.«
    Die abschreckende Gewalt übrigens schrieb angeblich mit, was wir sagten. Gott weiß, wie viel er mitbekam und wie viel er hinzudichtete.
    »In Ordnung«, sagte der Kommissar. »Kommen wir zu dem Opfer. Was wissen Sie über ihn?«
    »Er war Polizeidirektor im Ruhestand.«
    Onur Çalışkan schlug derart wütend mit der Faust auf den Tisch, dass der bebrillte Zorro sogleich wieder auf die Füße sprang. »Wie kannst du es wagen, mir nicht

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