Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
Vom Netzwerk:
allen Ecken des Hauses eingenistet hatte, und was da vor mir stand, waren keine Geschöpfe aus der Hölle, sondern Seifenfiguren.
    Meine Erleichterung sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Mit einem kurzen Knistern ging das Licht aus, und wieder war der Keller in Dunkelheit gehüllt. Noch bevor ich mir einreden konnte, dass es hierfür bestimmt eine logische Erklärung gab, spürte ich einen krächzenden Atem in meinem Nacken. Mir standen die Haare zu Berge, mein ganzer Körper war in Alarmstellung. Unter wildem Geschrei begann ich im Dunkeln zu laufen und rannte dabei alles über den Haufen, was vor mir auftauchte. Panisch stieß ich dabei gegen Wände und stürzte über Gegenstände stolpernd zu Boden, aber ich setzte meinen Weg fort. Der Keller zog sich unvorstellbar in die Länge, und soweit ich sehen konnte, war ich in einer Art Tunnel angekommen. Ein Luftzug schlug mir ins Gesicht, und irgendwo in der Ferne erblickte ich Licht. Gerade noch war ich vor Verzweiflung außer mir gewesen, doch dieser Hoffnungsschimmer spendete meinen Beinen und Lungen neue Kraft.
    Als ich endlich auf eine höchstens fünfzehn Quadratmeter große Fläche mit Steinboden hinaustrat, nahm ich frische Luft und Tageslicht in mich auf. Mein Blick fiel auf den Garten jenseits der angrenzenden, in Höhe meiner Knie endenden Mauer. Sofort sprang ich hinüber. Obwohl ich das Gebäude, das vor mir auftauchte, zum ersten Mal von dieser Seite aus sah, erkannte ich es sofort: Es war das Appartementhaus, in dem Hakan wohnte. Und ich befand mich in dem dazugehörigen Hinterhof, von dessen Existenz ich bis zu diesem Augenblick nicht einmal gewusst hatte. Verblüfft versuchte ich zu begreifen, wie ich aus Ruhan Beys Keller heraus auf der anderen Straßenseite gelandet war, da ging mir ein Licht auf: Ich hatte zufällig den Geheimgang entdeckt, dessen Plan Rebi Abi seinerzeit gezeichnet hatte. Auch wenn der Tunnel gegen die Griechen nicht viel genutzt hatte, so war er doch meine Rettung aus diesem verwunschenen Haus.
    Umgehend begab ich mich in Richtung des Eisentors, das in den Keller des Hauses führte. Meine Absicht war, vom Keller ins Erdgeschoss und von dort auf die Straße hinaus zu gehen. Doch eine Sekunde später wurde mir klar, dass das keine vernünftige Idee war. Hakans Haus lag exakt gegenüber dem Güzelyayla. Möglicherweise begegnete ich Gazanfer und seinen vierbeinigen Artgenossen. Zudem musste ich von dort aus bis zu unserem Haus zirka zweihundert Meter gefährlicher Wegstrecke zurücklegen. Sicherer würde sein, den geheimen Weg nicht zu verlassen, bis ich nicht nahe an meinem Zuhause angekommen wäre. Also machte ich mich auf, von Hinterhof zu Hinterhof zu springen.
    Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der Weg, den ich eingeschlagen hatte, verlief nicht parallel zu unserer Straße, und so fand ich mich in einem Labyrinth aus vertrockneten Hinterhofgärten, Lichtschächten und Kohleschuppen wieder. Meinen Intuitionen folgend suchte ich nach einer Möglichkeit, hier herauszukommen. Ich hatte das Gefühl, mich unserem Haus allmählich genähert und meine geistigen Fähigkeiten in erheblichem Umfang wiedergewonnen zu haben. Ich zweifelte stark daran, dass meine Erlebnisse von eben wahr waren, hatte aber keine andere Wahl, als sie als real anzusehen und eine Analyse vorzunehmen.
    Zunächst einmal verteidigte ich zwar meine Erkenntnis, dass die Dunkelheit Gott war, doch die Banalität, mir in den Nacken zu pusten, konnte ich nicht mit dem allmächtigen Schöpfer vereinbaren. Folglich musste es Ruhan Bey gewesen sein, wegen dem ich mir vor Angst beinahe in die Hosen geschissen hätte. Er hatte mich also gesehen, bevor er das Licht gelöscht hatte, und wenn man sein weiteres Verhalten in Betracht zog, war er von meiner Anwesenheit überhaupt nicht begeistert gewesen. Zweifellos hatte ich mir einen weiteren Feind hinzugewonnen. Dennoch schmeichelte es mir, nach einem Psychopathen wie Gazanfer einen Psychopathen mit überragenden künstlerischen Fähigkeiten wie Ruhan Bey zum Feind zu haben.
    Meine Schritte oder mein Schicksal hatten mich inzwischen erneut an den Tatort zurückgeführt. Da war ich gegangen und gegangen und gerade einmal im Hinterhof des Hauses angekommen, in dem Hicabi Bey gemeuchelt worden war. Mit widersprüchlichen Gefühlen sah ich zu der Hausmeisterwohnung im Erdgeschoss, die leer stand, seit ich denken konnte. Dieses Haus evozierte zahlreiche negative Assoziationen in meinem Geist, doch befand es

Weitere Kostenlose Bücher