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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Holzschober geklettert und lief auf mich zu. Flink überwand ich den Stacheldraht und stürzte mich in Ruhan Beys Garten. Mein Sturz fiel weitaus härter aus als angenommen. Meine Knie bluteten, und der Draht hatte mir Hände und Gesicht aufgerissen. Ich verschob die Schadenskontrolle auf später und richtete mich auf, um mit all der mir zur Verfügung stehenden Kraft zu der Villa zu rennen. Ohne nachzudenken drang ich durch eines der glaslosen Fenster im Erdgeschoss ins Haus ein. Noch immer konnte ich hören, wie Gazanfer Flüche und Drohungen hinter mir herrief. Ich lehnte mich an die Holzwand an und atmete tief durch. Meinen Revolver nach wie vor in der Hand, sank ich auf den Boden und fing an zu lachen. Ich erlebte die aufregendsten Tage meines Lebens. Ich war umgeben von Feinden, die vernichtet, und von Frauen, die vernascht werden sollten. Wobei, meine Waffe war aus Plastik. Und meine Frauen auch. Dennoch war das immer noch besser als gar nichts.

sieben
denkzettel der dämonen
    Nach einer kurzen Verschnaufpause analysierte ich schnell meine Lage. Gazanfer hatte sich zwar nicht getraut, von der Mauer zu springen, aber ich war mir sicher, dass er mich nicht so leicht laufen lassen würde. Wegen der hohen Mauern, die den Garten der Villa umgaben, würde ich das Gartentor zur oberen Straße hin benutzen müssen. Es leuchtete ein, dass Gazanfer dort mit seinen Kötern Stellung beziehen würde, um mich zu erwarten. Eventuell könnte er sogar den Mut aufbringen und den Garten betreten. Wenn man bedenkt, dass ich in Rex’ und Plutos hochentwickeltem Geruchsgedächtnis zu denen gehörte, die zuallererst zu zerfleischen wären, hatte ich draußen keinerlei Chance. Das Vernünftigste wäre, mich ein paar Stunden nicht von der Stelle zu rühren.
    Das Zimmer, in dem ich Zuflucht gesucht hatte, war vollkommen leer. Einen Großteil der einfachen Bodenbretter hatten die Holzwürmer erledigt. Zur Beleuchtung dieses offensichtlich wenig genutzten Raumes war ein Riesenloch in eine der versifften Wände gebohrt worden, aus dem ein Kabel mit einer Glühbirne heraushing. Das Einzige, was zur Anregung der Fantasie beitrug, waren die unterschiedlich großen Spachteln, Schneidwerkzeuge, Kleber und Blechdosen voller undefinierbarer Flüssigkeiten. Auffällig war der Müll wie etwa leere Büchsen und Zigarettenschachteln, die wahllos weggeworfen worden waren. Aber warum verursachte dieses übliche Bild des Elends, das man in der Behausung eines jeden Irren, der in die Jauchegrube des Lebens gedrängt worden war, antreffen konnte, ein merkwürdiges Unwohlsein? Gleich darauf verstand ich, warum. Der Grund war der Geruch. Jener angenehme und auf seltsame Weise bekannte Geruch, der in krassem Gegensatz zu dem verwahrlosten Zustand des Hauses stand.
    Obwohl ich mir suggeriert hatte, dass ich diesen Raum nicht verlassen, ja mich nicht einmal von der Stelle rühren durfte, hielt ich es gerade mal fünf Minuten aus. Das Stillsitzen bekam mir natürlich nicht.
    Seltsame Gedanken über den Mord, Gazanfer, seine Hunde und – warum auch immer – die Vorschuldirektorin fielen in beliebiger Abfolge über meinen Geist her und pickten wie Aasfresser an meinem Gehirn. Andererseits wollte ich, wenn ich schon in die Behausung des geheimnisvollsten Mannes in unserer Straße geschlüpft war, mich wenigstens ein bisschen umsehen und verstehen, mit was für einem Typen wir es zu tun hatten. Während meines Wettlaufs mit dem Tod hatte ich Ruhan Beys Lieferwagen nicht an seinem üblichen Platz stehen gesehen. Ich war also höchstwahrscheinlich allein im Haus. Eigentlich war es auch nicht vernünftig, derart vor ihm zu bibbern. Okay, er sah abstoßend aus, aber waren nicht letztlich alle Menschen auf der Welt abstoßend, ja sogar böse? Wir mussten böse sein, um unseren Fortbestand zu sichern. Sollte es früher einmal gute Menschen gegeben haben, so war von ihren Genen auf Erden nichts mehr übrig. Nehmen wir mich als Beispiel: ein Knabe, der täglich mehrere Stunden unter dem Diwan verbrachte, im Dorftrottel des Viertels seinen Seelenverwandten sah, im Angesicht einer Leiche mit durchgeschnittener Kehle nicht mit der Wimper zuckte, Fantasien mit zwanzigjährigen Frauen nachhing und ein Faible für Waffen und Alkohol hatte. Das Porträt des Monsters als kleiner Junge. Der wiedergeborene Rasputin.
    Ich holte tief Luft, verließ mein Versteck und fand mich sogleich in der Diele wieder. Zu meiner Rechten befand sich die große Haustür, links von mir die Küche

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