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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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angestellt hat, bezahlen lassen.«
    Seine Lage war ernster, als ich angenommen hatte. Sogar ernster als meine. Selbst wenn er mir all diese Märchen nur aufgetischt hatte, um mich an der Nase herumzuführen, so war dem doch zu entnehmen, dass er diesen Problemen gegenüber nicht unberührt geblieben war. Plötzlich war die Wahrscheinlichkeit, eines Tages einer zu werden wie er, gar nicht mehr so abwegig. Vielleicht lechzte ich auch nur wie alle anderen danach, mich mit dem Starken und Furchteinflößenden zu identifizieren. Was immer auch der Grund für dieses Gefühl war – es war ihm offensichtlich gelungen, mich durcheinanderzubringen. Er war kein gewöhnlicher Mensch. Hätte er doch bloß meinen Vater nicht auf diese niederträchtige Weise ins Spiel gebracht! »Eigentlich ist es interessant, was Sie da sagen«, meinte ich, »aber Sie tragen einen Schirm bei sich.«
    »Was meinst du damit?« Sein Blick war streng, seine Stimme wütend.
    »Ich traue keinen Leuten mit Schirm.« Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Ich würde kein Metin Bilgin, sondern wenn möglich ein Ruhan Bey werden. Das passte besser zu mir.
    Leider hatte ich nicht mehr die Gelegenheit, herauszufinden, auf welche Ebene mein eleganter Einwand unseren Dialog heben würde, denn der Strolch, der uns schon seit einer Weile verfolgte, kam endlich zu uns und zerrte Metin Bilgin an der Schulter: »Amca, gib mir ’ne Zigarette.«
    Um zu sehen, wer dieser Rüpel war, dessen Hand noch immer auf seiner Schulter lag, drehte der Staatsanwalt sich wütend um. Als sie einander Auge in Auge gegenüberstanden, zog der Typ seine Hand sofort zurück. Er war maximal ein Meter fünfzig. Ein Auge war ihm ausgestochen worden, und sein Gesicht hatte einen schwer definierbaren Ausdruck zwischen furchterregend und schleimig. Jedenfalls schien er geschaffen, alle Schmähungen der Welt auf sich zu ziehen. Ich war verblüfft, dass Metin Bilgin, anstatt ihn abzuwimmeln, ihm die Schachtel hinhielt. Der Kerl nahm sich zwei Zigaretten, steckte sich eine hinters Ohr, die zweite zwischen die Lippen und deutete mit einem dreisten Grinsen an, dass er Feuer wollte. Während Metin Bilgin sich seinen Schirm in den rechten Arm hängte und diese Forderung ebenso erfüllte, bemerkte ich, dass auch die beiden anderen Gauner rasend schnell auf uns zukamen. Urplötzlich überkam mich eine Riesenangst. Als wäre ich nicht derjenige gewesen, der bis noch vor wenigen Minuten gehofft hatte, sie würden den Staatsanwalt in die ewigen Jagdgründe schicken. »Seien Sie vorsichtig«, flüsterte ich bange. Das menschliche Herz ist eben wie ein Pendel. Sowie es an dem gewünschten Punkt angekommen ist, bewegt es sich mit Höchstgeschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung.
    Metin Bilgin war nicht im Geringsten anzumerken, ob er mich gehört hatte. Ohne zu ahnen, was ihm widerfahren würde, hielt er dem Kerl das Feuerzeug hin. Um zumindest meinen eigenen Hals zu retten, versuchte ich mir eine Strategie zu überlegen, wenn es ans Eingemachte ginge. Mir war klar, dass mein Dallas Gold gegen diese Halunken für den Arsch war. Die Tüte mit der vollen Honigbüchse war da eine viel verlässlichere Waffe. Ich machte mich kampfbereit, indem ich mir den Griff ums Handgelenk wickelte.
    Der Einäugige packte Metin Bilgins Hand mit dem Feuerzeug, mit der anderen Hand hielt er die Zigarette. Die Distanz der beiden anderen war auf drei, vier Schritte geschrumpft, als er die Spitze der Zigarette in das Handgelenk des Staatsanwalts drückte. Ich konnte nicht glauben, dass wir auf eine derart simple Nummer hereingefallen waren. Während der arme Mann verdutzt mit dem Tode rang, würden sie alle über ihn herfallen. Doch die Sekunden vergingen, und nichts dergleichen geschah. Der Staatsanwalt lächelte bloß. Bestimmt ist er ein Androide, dachte ich, ein Wunder der Technologie. Metin Bilgin hob den Arm, an dem sein Schirm hing, und zeigte dem ziemlich blöd aus der Wäsche glotzenden Einäugigen das, was er fest zwischen den Fingern hielt: die noch immer brennende Zigarettenspitze. Bevor sie sein Handgelenk berührt hatte, musste er sie in einem unvorstellbaren Reflex abgeknickt haben. Einer der Schurken erkannte die Lage und stürzte sich mit Gebrüll auf Metin Bilgin, und ab dann verlief alles in Windeseile. Nicht dass der Staatsanwalt sich bloß nicht vom Fleck rührte, er drehte nicht einmal seinen Kopf, als er dem Angreifer die Kippe ins Gesicht drückte und mit der anderen Hand den Einäugigen mit einem

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